Unsere Sprache verändert sich und wird gerade im Internet rauer. Was macht der Umgangston mit dem Miteinander?

„Der hat mich komplett durchbeleidigt“, empörte sich kürzlich ein Polizist, der im Prozess gegen den Rapper Fler als Zeuge aussagte. Auch im Internet häufen sich Hasskommentare oder Hate Speech. Beleidigungen sind aber nicht nur Gift fürs gesellschaftliche Klima: In Unternehmen können sie durchaus zum Rauswurf führen. Stimmt etwas nicht mit unserer Wahrnehmung, oder wird unsere Sprache tatsächlich immer derber?

„Nur tote Sprachen verändern sich nicht. Der Wandel, dem das Deutsche gerade heute unterliegt, ist ein Lebenszeichen“, betonte Theo Stemmler, emeritierter Anglistikprofessor der Universität Mannheim, kürzlich in einem Gastbeitrag der „FAZ“. In fast allen Bereichen der Sprache sei vieles längst nicht mehr wie früher: „Der Wortschatz, die Schreibung, die Satzbildung, der Stil sind für die älteren Sprachbenutzer anders, als sie es in der Schule gelernt haben.“ Die Zurückweisung des Neuen sei eine Altersfrage: „Die Jungen zwitschern eben nicht, wie die Alten sungen, sondern sprechen und schreiben provokant anders.“

Dass der Sprachverfall die junge Generation betrifft, bemängelte bereits 2012 der damalige Vorsitzende des Rechtschreibrats, Hans Zehetmair. Das Vokabular der Jugendlichen sei digital generell sehr simpel: „Das Deutsche verarmt in den Neuen Medien zu einer Recycling-Sprache, wird immer mehr verkürzt und vereinfacht und ohne Kreativität wiedergekäut.“ Andrea-Eva Ewels, Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache, hält dagegen: „Unsere Sprache geht nicht unter, sie verändert sich nur stetig – schon deshalb, weil sich die Welt in einem früher nicht gekannten Ausmaß und Tempo verändert.“ Die Jugend verfüge über „große Kreativität, Spontaneität, Direktheit und Flexibilität“ und habe schon immer eine eigene Sprache besessen. Die nutze sie vor allem als „Abgrenzung zu den Erwachsenen“.

Faulheit und fahrlässige Ungenauigkeit

Schon immer verschwinden Wörter aus unserer Sprache und werden durch neue ersetzt. So ist der Lehrling ein Azubi, das Mobiltelefon ein Handy, das Mannequin ein Model, die Eintrittskarte ein Ticket und der Sommerschlussverkauf schlicht Sale. Das würde nicht allen gefallen, räumt Sprachwissenschaftler Stemmler ein. Manche Ältere rümpften die Nase bei Begriffen wie daddeln, geil, null Bock oder Tanke. In sozialen Netzwerken sind zudem Kürzungen und das Weglassen von Lauten ganz normal: Aus habe wird hab, es gibt Wörter aus Zahlen und Buchstaben wie „m1“ für meins oder „N8“ für Nacht. Artikel? Überflüssig! Das alles sind laut Sprachwissenschaftler Stemmler „stilistische Albernheiten“. Er sorgt sich mehr um die verrohte Sprache in der politischen Rede: „Vielen ist der politische Gegner zum Feind geworden – schlimmer noch: zum Jagdopfer!“ „Wir werden sie jagen“, war zum Beispiel nach der Bundestagswahl 2017 aus der AfD zu hören. Und auch die Drohung „Ab morgen kriegen sie in die Fresse“ zeige die Brutalisierung des politischen Stils. Das sei neu: „Beleidigt wurde schon zu Zeiten von Herbert Wehner und Franz Josef Strauß, doch nicht mit einer Aktion gedroht.“

Auch die vernachlässigte Grammatik treibt ihn um: „Der grammatische Wandel unterscheidet sich grundlegend von jenem des Wortschatzes und der Bedeutung. Für ihn gibt es kein chaotisches Hin und Her, kein Vor oder Zurück, keine modischen Novitäten, die man nach Belieben einführen oder auch wieder abschaffen kann.“ Die Veränderung grammatischer Formen erfolge stets in einer Richtung – zur Vereinfachung hin: „Der gemeine Sprachbenutzer ist faul und will es so“, so Stemmler. Hinzu käme ein „schlampiger Umgang“ mit den syntaktischen Regeln, also Satzbau und Wortbildung. Die Kombination von sprachlicher Faulheit mit fahrlässiger Ungenauigkeit sieht er als Gefahr einer „Verrohung des Deutschen“.

Sein Vorschlag: sich weniger über Anglizismen und Jugendsprache entrüsten und mehr auf politisch und grammatisch korrekte Sprache achten. „Auf diese Weise kann man Schaden von der deutschen Sprache abwenden.“

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Sabine Latorre
Bis 2024 Leiterin aktiv-Redaktion Rhein-Main

Dr. Sabine Latorre war bei aktiv 22 Jahre lang die Spezialistin für Themen aus der Chemie- und Pharma-Industrie – bis zu ihrem Rentenbeginn im April 2024. Sie liebt es, komplizierte Zusammenhänge einfach darzustellen – so schon vor ihrer Zeit bei aktiv als Lehrerin sowie als Redakteurin für die Uniklinik Heidelberg und bei „BILD“. Außerdem schreibt sie naturwissenschaftliche Sachbücher für Kitas und Schulen. Privat reizen sie Reisen sowie handwerkliche und sportliche Herausforderungen.

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