Rums! Ein schwerer Hydraulikstempel drückt ein Loch in die erstarrte graue Kruste hinein. Ein weißes Pulver aus Tonerde läuft durch das Loch in die heiße Schmelze unter der Kruste. Die Tonerde, chemisch Aluminiumoxid, wird in Salz aufgelöst und unter sehr starken Strom gesetzt. Bei dieser sogenannten Elektrolyse entsteht Aluminium. Und auch Hitze, weil die Elektrolyse-Öfen bei 960 Grad arbeiten.
Prozessingenieur André van Haaren ist hier, in der Alu-Hütte von Trimet in Essen, in seinem Element. 2019 kam er nach dem Studium der Energie- und Verfahrenstechnik an der Universität Duisburg-Essen zum größten Alu-Hersteller Deutschlands. Der junge Ingenieur sollte untersuchen, wie Abwärme aus der Alu-Erzeugung nutzbar ist. An welcher Stelle kann man die Wärme abgreifen, welche Temperatur hat sie, wie lässt sie sich zu möglichen Abnehmern transportieren? Und das alles, ohne den eh schon empfindlichen elektrochemischen Prozess zu stören!
Wärme für über 2.400 Haushalte
Heute ist der 32-Jährige für ein großes Kooperationsprojekt von Trimet mit dem Energieversorger Iqony verantwortlich: Ab Mitte 2025 speist Trimet jährlich rund 32.000 Megawattstunden ins Fernwärmenetz von Iqony in Essen und Bottrop ein. Auch van Haarens Wohnung ist daran angeschlossen. Die Wärme aus der Alu-Hütte ist klimaneutral, weil dafür keine fossilen Kraftstoffe verbrannt werden und kein CO2 ausgestoßen wird. Sie reicht rein rechnerisch für den Jahresbedarf an Heizung und Warmwasser von über 2.400 Haushalten.
Die heiße Luft von den Öfen wird von mächtigen Gebläsen angesaugt und nach draußen geleitet. „An der Außenwand der Halle gibt es vier Ventilator-Stationen“, erzählt der Ingenieur. „Die Luft ist 150 Grad heiß und wird durch ein Rohrbündel mit Wasser geschickt. Das Wasser nimmt die Wärme auf und die abgekühlte Luft wird rausgelassen.“ In der Energiezentrale befördern dann sechs Großpumpen den Wasserdampf ins Fernwärmenetz. Iqony verlegt dafür die Leitungen zum Werkgelände.
„Es ist cool, das Projekt vom Anfang bis zur Umsetzung zu begleiten“, sagt van Haaren. Die Rohre werden im laufenden Betrieb verlegt. Ein Messtrupp nimmt ständig Proben und erhebt Daten, um zu prüfen, ob die einzelnen Öfen nicht zu unruhig werden. „Ich lerne jeden Tag dazu, habe aber auch ein super Team. Das sind Kollegen mit deutlich mehr Erfahrung, die immer ein offenes Ohr haben und mich sehr unterstützen.“
Ein nützlicher, aber auch heikler Vorgang
Die Abwärme abzuzapfen, ist nämlich heikel. Die Öfen dürfen dabei weder abkühlen noch sich aufheizen: Es geht um wenige Grad Temperaturunterschied. Denn die Alu-Elektrolyse verlangt eine konstante Betriebstemperatur. Schon 10 Grad drüber oder drunter – und der Ofen geht kaputt: Die Schmelze läuft aus oder erstarrt. Deshalb verändern alle Alu-Produzenten weltweit seit der Erfindung der Elektrolyse im Jahr 1886 nichts an der Energiezufuhr.
Alle – außer Trimet. Das Unternehmen ist ein Pionier der Flexibilität. 2019 ließ es als erstes weltweit „die Produktion tanzen“. Ein Drittel der Alu-Hütte in Essen, 120 Elektrolyse-Öfen, wurde umgerüstet, um als eine „virtuelle Batterie“ zu dienen. Trimet produziert hier je nach Wetterlage bis zu einem Viertel mehr oder weniger der gewöhnlichen Alu-Mengen und kann notfalls die Energiezufuhr bis zu zwei Stunden komplett drosseln.
Wieso nach Wetterlage?! Der Hintergrund ist: Die Produktion von Primär-Alu aus dem Aluminiumoxid braucht sehr viel Energie. Das Werk in Essen benötigt so viel Strom wie die Stadt Essen insgesamt, einschließlich aller anderen Industriebetriebe. Im deutschen Stromnetz wächst aber der Anteil der erneuerbaren Energien: derzeit auf rund 60 Prozent. Strom aus Sonne und Wind gibt es je nach Tageszeit und Wetterlage mal mehr, mal weniger. Ein großer Stromabnehmer wie Trimet kann durch Flexibilisierung der Produktion dazu beitragen, das Netz zu stabilisieren.
Das Projekt lohnt sich erst auf längere Sicht
Um die Temperatur in den Öfen weiter konstant zu halten, wurden sie mit steuerbaren Wärmetauschern umgeben. Das machte es möglich, die entstehende Abwärme zu nutzen. Trimet investiert dafür an seinem Stammsitz rund 8 Millionen Euro. Knapp die Hälfte sind Fördermittel der Bundesregierung. „Wir können diese Leistung erbringen, weil wir eine Alu-Hütte sind, die in einer Stadt steht, nicht irgendwo an einem Fjord oder in der Wüste“, sagt Werkleiter Roman Düssel.
Für die Abwärme, die sonst ungenutzt verpuffen würde, bekommt Trimet Geld vom Energieversorger Iqony. Das wird sich jedoch erst auf lange Sicht lohnen.
Für van Haaren ist das Engagement auch ein Ausdruck seiner Heimatverbundenheit. Er ist ein Kind des Ruhrgebiets und fühlt sich dort wohl, wo er Familie, Freunde und nette Kollegen hat. Nur die Berge in Süddeutschland und Neuseeland, die er aus der Zeit seines Studiums kennt, vermisst er hier etwas. Aber die Hügel des Ruhrpotts tun es notfalls auch.
Nachgefragt
bei Prozessingenieur André van Haaren.
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Ich habe mich immer schon für Technik interessiert, war bereits als Werkstudent bei Trimet.
Was reizt Sie am meisten?
Hier gibt es ein Miteinander statt ein Gegeneinander und ich fühle mich wohl und stets geschätzt. Zudem ist die Elektrolyse ein superinteressanter Prozess. Das Prinzip ist seit Langem bekannt, aber Innovationen halten es aktuell.
Worauf kommt es an?
Einen kühlen Kopf in stressigen Situationen bewahren. Der gesunde Menschenverstand hilft meistens.
Das Unternehmen
Das Familienunternehmen Trimet betreibt in Deutschland und Frankreich vier Alu-Hütten sowie Gießereien und Recyclingwerke. Mit 2.400 Mitarbeitern erzielt Trimet über 2 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Am Stammsitz Essen erzeugen rund 800 Mitarbeiter 285.000 Tonnen des Leichtmetalls pro Jahr, davon 165.000 durch Elektrolyse.

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.
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