Das Auge ist eines unserer wichtigsten Sinnesorgane. Mit ihm lesen, beobachten und erfahren wir unsere Umwelt. Kein Wunder, dass sich viele Mythen darum ranken. Aber stimmen die überhaupt?

AKTIV hat Professor Marcus Blum, Chefarzt der Augenheilkunde am Helios Klinikum in Erfurt, gefragt. Ergebnis: Die meisten Mythen rund ums Auge sind einfach falsch. Welche wirklich stimmen und welche nicht, erfahren Sie im Folgenden:

Mythos 1: Möhren verbessern die Sehkraft

Stimmt nicht. Damit wäre das Argument von Eltern dahin, mit denen sie ihrem Nachwuchs das Gemüse schmackhaft machen wollen. Gesund sind Karotten zwar allemal. „Aber der vermehrte Verzehr von Möhren verhindert weder eine Fehlsichtigkeit, noch korrigiert er sie“, sagt Blum. Der Mythos basiert allerdings auf einem richtigen Zusammenhang: Das in Möhren enthaltene Vitamin A wird in den Zapfen und Stäbchen der Netzhaut gebraucht. „Das ist natürlich eine gute Sache, ändert aber nichts an einer Fehlsichtigkeit“, so der Experte.

Mythos 2: Nah vor dem Fernseher zu sitzen, schadet den Augen

Das ist teilweise wahr. „Und zwar dann, wenn es um das Sehen in der Nähe geht“, so der Augenexperte. Wer sich fast an Bildschirm oder Fernseher „die Nase platt drückt“, muss permanent auf Nahsichtmodus schalten. Das nennt man akkommodieren – und es ist „anstrengend für das Auge“, so Blum. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass diese Dauerbelastung die Entstehung einer Kurzsichtigkeit fördert.

Mythos 3: Unter der Bettdecke zu lesen, schadet den Augen

Bei schlechter Beleuchtung „entsteht ein Bild, das wie beim Fotografieren unterbelichtet und ohne Kontraste ist“, erklärt Blum. Dadurch könne das Auge zwar schneller ermüden. „Einen Zusammenhang zwischen dem Lesen im dämmrigen Licht und einer möglichen Verschlechterung des Sehvermögens besteht jedoch nicht“, versichert der Experte.

Mythos 4: Gähnen hilft gegen trockene Augen

Da besteht laut Professor Blum ein eher indirekter Zusammenhang: „Beim Gähnen wird die Gesichtsmuskulatur aktiviert, und das verbessert den Abfluss von Tränenflüssigkeit durch den Tränenkanal“, so der Fachmann. Dafür, dass durch Gähnen aber das Auge grundsätzlich besser befeuchtet wird, gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis.

Mythos 5: Im Sommer nie ohne Sonnenbrille rausgehen

Das wäre in unseren Breitengraden übertrieben. „Zumindest gesunde Augen haben einen eingebauten Schutz vor UV-Licht und werden nicht geschädigt“, weiß Blum. Zum einen verkleinert sich die Pupille automatisch, wenn es allzu hell wird. Zum anderen wird UV-Licht von der Linse gefiltert. Durch diesen Blendschutz fällt weniger Licht ins Auge. „Es ist aber nicht falsch, eine Sonnenbrille zu tragen, um die Blendung zu verringern. Bei sehr hellem Sonnenlicht erhöhen getönte Gläser mit UV-Schutz die Qualität der Sehleistung“, so Blum. Das kann etwa beim Autofahren von Vorteil sein. Aber Achtung: In der Dämmerung sollte man die Brille mit getönten Gläsern unbedingt wieder abnehmen. Und: Schädlich ist eine Brille mit getönten Gläsern, aber ohne UV-Filter. „Durch die Tönung weiten sich die Pupillen und die Sonnenstrahlen können direkt ins geöffnete Auge fallen.

Mythos 6: Alle Neugeborenen haben blaue Augen

Das ist teilweise korrekt – zumindest bei uns in Mitteleuropa, wo die Mehrheit der Menschen eher pigment-arme Kaukasier sind. „Denn wir sind am Anfang unseres Lebens relativ pigment-arm“, so Blum. Deshalb auch die helle Babyhaut. Für die Regenbogenhaut von Neugeborenen heißt das: Sie sieht in den allermeisten Fällen grau-blau aus. Innerhalb des ersten Lebensjahrs jedoch nimmt die Pigmentierung zu. Blum: „Dann kann die Iris dunkler werden.“

Mythos 7: Wer extra schielt, dem bleiben die Augen stehen

Auch das ist eine beliebte Drohung von Eltern, um den Nachwuchs zur Raison zu bringen. Doch auch diesen Mythos kann Professor Blum entzaubern: „Gesunde Augen werden auf keinen Fall so stehen bleiben“, versichert er. Der Grund: Kinder können die Augen noch so verdrehen – das Gehirn steuert sie wieder in eine normale Position.

Mythos 8: Manche Leute können nicht räumlich sehen

Diese Behauptung stimmt. Erinnern Sie sich noch an die 3-D-Bücher, in denen man in einem Muster-Wirrwarr räumliche Formen erkennen sollte? Der eine hatte den Fisch oder den Vogel direkt entdeckt, der andere sah überhaupt nichts. „Etwa 7 Prozent der deutschen Bevölkerung sind davon betroffen. Sie können nicht räumlich sehen“, so Blum. Dann sind bestimmte Berufe wie Pilot oder Busfahrer tabu. Bei den Betroffenen bewegen sich die Sichtachsen nicht parallel zueinander: „Das Gehirn kann dann nicht lernen, Stereo zu sehen.“ Dabei vernachlässigt es häufig den Seheindruck von einem Auge – es wird so „schwachsichtig“. Dieses Problem kann bis zum Alter von sechs bis sieben Jahren behandelt werden. „Die Kinder tragen dann eine Augenklappe auf dem gesunden Auge, um das schielende Auge zu trainieren“, erklärt der Augenarzt Blum. Bei Erwachsenen ist eine solche Korrektur der Sehleistung leider nicht mehr möglich.

Mythos 9: Hunde können nur schwarz-weiß sehen

Stimmt nicht. Mittlerweile hat man in mehreren Studien herausgefunden: Hunde können durchaus Farben sehen. Allerdings ist diese Fähigkeit etwa so ausgeprägt wie bei Menschen mit einer Rot-Grün-Sehschwäche. Konkret heißt das: Die Vierbeiner können zwar kein Rot sehen – Gelb, Grün, Türkis, Blau und Violett nehmen sie aber durchaus war. Grund: Die Netzhaut eines Hundes ist mit vielen Stäbchen ausgestattet, die besonders lichtempfindlich, dafür aber nicht aufs Farbsehen spezialisiert sind. Als Jagdtier war es der Natur eben wichtiger, dass der Hund in der Dämmerung hervorragend sehen kann, statt besonders viele Farbtöne zu erkennen.

Mythos 10: Lügner verraten sich mit den Augen

Wer beim Reden nach rechts oben schaut, der lügt. So wird es in vielen Kommunikationsschulungen gelehrt. „Die Augenbewegung hat zwar mit geistiger Anstrengung zu tun, etwa dem Abrufen von Wissen. Sie ist aber nicht spezifisch für Lügen“, erklärt Psychologie-Professor Michael Niedeggen von der Fachhochschule Berlin. Die Behauptung, man könne an den Augen erkennen, ob jemand lügt, ist also Unsinn. Das haben auch britische Wissenschaftler an der Universität Edinburgh in einem Experiment beweisen können: Sie forderten 32 Versuchsteilnehmer auf, zu einem bestimmten Sachverhalt zu lügen, während andere die Wahrheit sagen sollten. Die Videoauswertung der Interviews ließ keinen Zusammenhang zwischen Wahrheitsgehalt und Blickrichtung erkennen.