Eine grüne Idylle: Gemächlich gluckert die Lahn über das Flusswehr bei Bad Ems. Enten, Schwäne und Reiher halten nach Nahrung Ausschau auf der weiten Wasserfläche. Ringsum bewaldetes Hügelland, im Hintergrund das historische Emser Kurviertel, das zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.

Heile Welt? Von wegen. „Hier schlugen jahrelang die Wogen hoch“, sagt Ronald Steinhoff und zeigt auf das fast noch neue Wasserkraftwerk am Ufersaum der Lahn-Insel Silberau. Er muss es wissen: Seine Firma, Steinhoff Energies, ist Bauherr und Betreiber.

Rechtsstreit verzögert Baustart um Jahre

„Für unser Kraftwerk lag im Jahr 2012 die Baugenehmigung vor. Baustart war aber erst Mitte 2018“, berichtet Steinhoff. Die Verzögerung entstand, weil der „Bund für Umwelt und Naturschutz“ (BUND) unterstützt von Fischereiverbänden gegen den Genehmigungsbescheid geklagt hatte. Begründung: Er werde gegen das „wasserrechtliche Verschlechterungsverbot“ verstoßen, wie es auf Amtsdeutsch heißt. Das Kraftwerk gefährde Fischfauna und Artenvielfalt.

„Über fünf Jahre brauchte es, bis das Oberverwaltungsgericht Koblenz feststellte: Die Klage ist gegenstandslos“, blickt Steinhoff zurück. Allein von seiner Seite waren drei Gutachter, zwei Anwälte und viele helfende Freunde in das Verfahren eingebunden. „Hinzu kommen mein eigener erheblicher Aufwand, der meiner Frau und der von Mitarbeitern.“

Das Beispiel verdeutlicht, was Bundesjustizminister Marco Buschmann mit „Bürokratie-Burn-out“ umschreibt: Derzeit sind rund 1.800 Bundesgesetze und 2.870 Bundesverordnungen in Kraft. Obendrauf kommt ein Vielfaches an Landesgesetzen und -verordnungen.

Die Firmen kostet das immer mehr Zeit, Nerven – und Geld: Pro Jahr muss die Wirtschaft allein für Bürokratie 67 Milliarden Euro schultern. Diesen neuen Negativrekord meldet der Normenkontrollrat, ein Beratungsgremium der Bundesregierung. Kein Wunder also, dass immer mehr Firmen mit Investitionen zögern oder gleich ins Ausland ausweichen. Das zeigt unter anderem eine Umfrage des Instituts für Mittelstandsforschung

Dass sich Ronald Steinhoff nicht hat mürbemachen lassen, ist da ein Glück – auch für die Fische übrigens: Denn keinem wird am Wasserkraftwerk eine Gräte gekrümmt. Dafür sorgen etwa Fischtreppen, Feinrechen und die zwei modernen, langsam drehenden Kaplan-Turbinen. Die rheinland-pfälzische Klimaschutzministerin Katrin Eder bescheinigt dem Bauwerk sogar eine „Vorreiterrolle für den Fischschutz an der Lahn“.

Unterm Strich kostete das Emser Kraftwerk 4,2 Millionen Euro, bilanziert Steinhoff. Betriebsstart war endlich im Jahr 2020. Seither werden bis zu 3,5 Gigawattstunden Öko-Energie erzeugt – genug für 1.000 Haushalte und die E-Auto-Ladesäulen auf dem Parkplatz nebenan. „Wir liefern zuverlässig klimafreundliche Energie, selbst wenn Wind- und Sonnenkraft ausfallen bei sogenannter Dunkelflaute“, bemerkt Steinhoff.

Wassertechnik ist global gefragt, bei uns aber nicht

Ursprünglich gab es in Deutschland fast 80.000 Wasserkraftwerke aller Größenordnungen. Heute sind noch knapp 8.000 in Betrieb, manche bereits seit über 100 Jahren.

Ihr Anteil an der gesamten öffentlichen Stromerzeugung erreicht keine 5 Prozent – weltweit sind es rund 15 Prozent. Dabei ist „Made in Germany“ sehr gefragt auf dem weltweiten Wachstumsmarkt für Wasser- und Abwassertechnik, zu dem auch Klärwerke und Verteilnetze gehören. Deutsche Hersteller liegen hier auf Platz zwei hinter China, ihre größten Exportmärkte waren zuletzt Frankreich, die USA und die Niederlande.

„Ob Modernisierung oder Neubau – würde Wasserkraft in Deutschland optimal genutzt, könnten rund acht Millionen Haushalte zusätzlich mit Strom versorgt werden, doppelt so viele wie bisher“, betont Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group, einem globalen Thinktank von Wissenschaftlern und Parlamentariern.

„Wasserkraft ist ein schlafender Riese“, unterstreicht Fell. „Dafür werden beste langlebige und robuste Technologien benötigt. Die Maschinenbauer stellen sie seit langen Jahrzehnten her, haben sie immer weiter perfektioniert. Doch ausgerechnet im eigenen Land zählt das alles leider nicht so viel.“

Ein Hauptgrund dafür ist aus Sicht von Fell „eine starke ablehnende Haltung ausgerechnet bei Naturschutzverbänden und zuständigen Genehmigungsbehörden gegen die Wasserkraft“. Dabei könnte jetzt deren große Stunde schlagen, angesichts der holpernden Energiewende und hoher Strompreise.

Hans-Josef Fell zuckt mit den Achseln: „Naturschützer stehen sich manchmal auch selbst im Wege, wenn es um Naturschutz geht.“

Stephan Hochrebe
aktiv-Redakteur

Nach seiner Redakteursausbildung absolvierte Stephan Hochrebe das BWL-Studium an der Universität zu Köln. Zu aktiv kam er nach Stationen bei der Funke-Mediengruppe im Ruhrgebiet und Rundfunkstationen im Rheinland. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie und Standort – und gern auch alles andere, was unser Land am Laufen hält. Davon, wie es aussieht, überzeugt er sich gern vor Ort – nicht zuletzt bei seiner Leidenschaft: dem Wandern.

Alle Beiträge des Autors