Dortmund. Selbstfahrende Wägelchen rollen durch die Gänge. Fast geräuschlos verrichten sie ihr Tagwerk, liefern Gehäuse, Hydraulik-Einheiten, Elektronik, Rotoren und anderes Material beim nächsten Montageplatz ab, wo ein Mitarbeiter gerade die Hände frei hat. Sie entscheiden selbst, welche Stationen sie ansteuern. Alles läuft automatisch. Willkommen in der smarten Fabrik des Pumpenproduzenten Wilo.
Viel Intelligenz steckt auch in den Werkzeugen
„Da wir mehrere Varianten für verschiedene Kunden haben, kann es sein, dass die Produkte innerhalb einer Schicht wechseln“, sagt Fabian Lenkat und führt die aktiv-Besucher auf einer Galerie über die nagelneue Fabrikhalle in Dortmund. Da müssen die Mitarbeiter flexibel sein.
Von oben hat man den perfekten Überblick. Man schaut auf die Roboterfahrzeuge, vernetzte Produktionslinien – und Arbeitsplätze mit Monitoren. „Die Bildschirme leiten die Monteure Schritt für Schritt an“, erzählt Besucher-Guide Lenkat. Viel Intelligenz steckt auch in den Werkzeugen, die die richtigen Schrauben mit dem passenden Drehmoment anziehen.
300 Millionen Euro investiert Wilo in Dortmund in die Modernisierung
Erst im Frühjahr hat das Familienunternehmen alle Teile seiner Produktion in der Smart Factory an seinem Stammsitz zusammengezogen. Aus mehreren Fabriken ist ein großes, lichtdurchflutetes Werk mit kurzen Wegen geworden. 300 Millionen Euro, ein Fünftel des Jahresumsatzes 2019, investiert Wilo in die Modernisierung des Standorts einschließlich Logistik, Entwicklungs- und Kundenzentrum sowie Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter – auf einer Fläche, so groß wie 26 Fußballfelder.
Eine gewaltige Summe, die gestemmt sein will. Und das in einer Zeit, in der große Ungewissheit herrscht, wie es für die Wirtschaft weitergeht. Digitalisierung, die Klimaschutz-Debatte und jetzt auch noch die Corona-Krise, die zum größten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegszeit geführt hat – all das stellt zahlreiche Unternehmen vor große Herausforderungen, die kaum zu bewältigen sind.
Pumpen-Hersteller ist in der Region so etwas wie ein Leuchtturm
Wilo geht sie offensiv an – mit einer Großinvestition, die den Hersteller fit für die Zukunft machen soll. Die Firma ist in der Region so etwas wie ein Leuchtturm, ein grundsolides Vorzeigeunternehmen.
Auch während des Umzugs habe man die Kunden zuverlässig beliefert, darauf ist Technik-Vorstand Georg Weber mächtig stolz: „Für mich ist jetzt Erntezeit. Wir sind beim Feintunen und merken, wie viel Potenzial noch in den Prozessen steckt.“ Ein Smart Training Room bildet alle Produktionsschritte digital ab: Die Mitarbeiter sind eingeladen, sie durchzugehen und zu überlegen, was noch besser werden kann.
Riesige LED-Wand informiert die Mitarbeiter über aktuelle Kennzahlen
15 Prozent mehr Produktivität sind das Ziel. Die knapp 2.000 Beschäftigten in Dortmund (rund 8.000 sind es weltweit) haben die aktuellen Zahlen stets vor Augen. Eine riesige LED-Wand am Eingang der Fertigungshalle lässt keine Fragen offen. Was macht jeder Standort? Was investiert das Unternehmen, wie viel Energie verbraucht es und wo? Wie viele Pumpen und Komponenten haben das Werk verlassen?
Die Corona-Krise brachte keine Kurzarbeit. Im Gegenteil: Die Pumpen halten Heizungen, Kraftwerke, Kläranlagen und Trinkwasserversorgung am Laufen, wurden deswegen in vielen Teilen der Welt als systemrelevant eingestuft. Keine der Firmentöchter in Frankreich, China, Indien, Russland und den USA musste deshalb die Arbeit komplett einstellen.
Als im Frühjahr in einigen Ländern neue Krankenhäuser innerhalb weniger Tage aus dem Boden gestampft wurden, lieferte Wilo prompt. In Italien half sogar die Polizei, während des Lockdowns Pumpen aus dem Lager der Wilo-Niederlassung zu holen.
Wegen Corona und anderer Krisen: Lieferketten kommen auf den Prüfstand
„Es war zwar ein Riesenaufwand, aber wir sind komplett mit voller Last durch Corona gefahren“, schildert Weber. Im Spätsommer gab es eine normale Hochsaison bei den Heizungspumpen. Aber was heißt schon normal?
Vieles kam auf den Prüfstand: Auslagern oder selbst machen? Kosten sparen oder Risiken minimieren? Die Lagerbestände drücken oder lieber Vorräte anlegen? „Derzeit neigt sich die Nadel mehr in Richtung Sicherheit“, meint der Technik-Vorstand.
„Unsere Lieferketten sind nie abgerissen, aber es war eng“, berichtet er von täglichen Krisensitzungen der Einkäufer. „Deshalb untersuchen wir jetzt unsere gesamten Komponenten und Lieferanten und ordnen sie in Risikoklassen ein.“ Digitale Frühwarnsysteme zeigen an, wo Kriege, Streiks, Handelskonflikte, Epidemien oder Naturkatastrophen die reibungslose Produktion bedrohen könnten.
„Wir reagieren heute innerhalb eines Tages, wenn es knapp wird. Früher dauerte es Wochen.“ Einen neuen Zulieferer zu finden und zu zertifizieren, braucht jedoch seine Zeit. Deshalb will Wilo mehr Optionen besonders für kritische Komponenten schaffen.
Standorte helfen sich bei Engpässen untereinander aus
„Bei neuen Projekten achten wir stärker darauf, dass es für bestimmte Bauteile nicht nur einen einzigen Lieferanten auf der ganzen Welt gibt, und auch, was wir selbst machen können“, sagt das Vorstandsmitglied. Standorte helfen sich bei Engpässen untereinander aus: Das hat sich in der Pandemie bewährt.
Neben Corona gefährden auch Handelskonflikte die weltweit verwobenen Lieferketten. Weber: „Unsere Aufstellung mit stark regionaler Ausrichtung ist die Lösung, mit der wir gut gefahren sind.“
Fast 4.000 Photovoltaik-Module auf dem Dach
Deshalb richtet Wilo aktuell eine zweite Zentrale in China und später eine weitere in den USA ein. Dort werden auf einer gemeinsamen Grundlage auf den jeweiligen Markt angepasste Produkte mit lokalen Zulieferern entwickelt und gefertigt. Die Dortmunder Smart Factory ist dabei der Leuchtturm und Testraum für smarte Produkte und neue Technologien.
Auch in Sachen Nachhaltigkeit: Die neue Fabrik hat ein eigenes Blockheizkraftwerk und auf dem Dach knapp 4.000 Photovoltaik-Module. Ein Viertel des Energiebedarfs produziert Wilo selbst, für den Rest kauft das Unternehmen Öko-Strom und -Gas. Schon im kommenden Jahr, also 2021, will der Stammsitz klimaneutral sein.
Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.
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