Deutschland lebt zum großen Teil vom Export. Unsere Industrie beliefert die ganze Welt – mit Fahrzeugen, Maschinen, Elektrotechnik. Das bringt Wohlstand, hat aber auch eine Kehrseite: Krisen und Abschwünge in der Weltkonjunktur bekommt die hiesige Wirtschaft besonders zu spüren. Im letzten Jahr gingen die deutschen Ausfuhren zurück – aus dem besonders exportstarken Baden-Württemberg sogar um 5,3 Prozent. Der Grund: Geopolitische Konflikte und die Nachwirkungen der Inflation haben Unternehmen und Verbraucher weltweit verunsichert. Deshalb zögern sie noch mit größeren Anschaffungen und Investitionen.
Und wir exportieren auch deshalb weniger, weil wir weniger im Inland produzieren. Das war schon vor der momentanen Flaute so, sagt Klaus Wohlrabe. Er ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Makroökonomik und Befragungen am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. aktiv sprach mit ihm über die Hintergründe der Exportrückgänge.
Herr Wohlrabe, in puncto Export war Deutschland ja sogar mal Weltmeister. Warum haben wir diesen Spitzenplatz eigentlich eingebüßt?
Den Spitzenplatz haben wir schon länger an China abgegeben. Mit seiner enormen Produktionskraft – allein schon aufgrund der Größe – kann das Land viel mehr exportieren als Deutschland. Das starke Wachstum haben wir gewissermaßen schon hinter uns. Außerdem haben China und die USA eine Politik verfolgt, um die Unternehmen ins eigene Land zu locken – zum Beispiel die USA zuletzt mit Subventionen oder der Androhung von Strafzöllen. Vor allem größere deutsche Unternehmen haben aber auch deshalb schon länger Produktionsstätten in Asien oder Nordamerika aufgebaut, weil sie ihre Produkte dort verkaufen. Diese Produkte werden dann natürlich nicht mehr aus Deutschland dorthin exportiert. Der Trend, direkt bei den Absatzmärkten zu produzieren, wird sich auch nicht mehr umkehren. Es wird für Deutschland schwierig, größere Werke ins Land zu holen – oder auch hier zu halten.
Aber die schiere Größe eines Landes oder Marktes ist doch nicht allein entscheidend, oder? Welche Rolle spielen hier die Kosten?
Eine große Rolle, insbesondere, was Konsumgüter betrifft. Handys werden sicher nie wieder bei uns gebaut, denn in der Massenproduktion können wir kostentechnisch einfach nicht mehr mithalten. Nur die Fertigung von höherpreisigen Nischenprodukten kann weiterhin in Deutschland stattfinden – wie etwa Sondermaschinen, die in kleinen Stückzahlen produziert werden. Denn der Aufwand, die Produktion woanders aufzubauen, wäre schlicht zu groß. Und in dem Segment sind wir immer noch einsame Spitze.
An Qualität und Innovationskraft mangelt es uns also nicht …
Die Zahl der angemeldeten Patente in Deutschland ist zwar seit 2020 leicht rückläufig, aber das ist sicher nicht der Grund, warum die Exporte schwächeln. Allerdings machen bei neueren Technologien wie etwa der künstlichen Intelligenz die USA und China größere Sprünge. Wir dürfen uns also nicht auf unseren Erfolgen in den traditionellen Sektoren ausruhen, sondern müssen mehr Mut haben, die klassischen Industrien zu ergänzen: in Richtung E-Mobilität, Vernetzung und vor allem Batterien. Wenn da der technische Durchbruch kommt, wird entscheidend sein: Wer stellt die Batterien her?
Da ist China sicher nicht unser einziger Konkurrent …
Ja, die USA habe ich ja bereits erwähnt. Dort werden zwar auch keine iPhones mehr gefertigt, aber mit dem Inflation Reduction Act wird umgerechnet fast 1 Billion Euro in die US-Wirtschaft gepumpt. Man bemüht sich aktiv, Unternehmen ins Land zu holen. Auf etwas längere Sicht wird auch Indien als Wettbewerber heranwachsen, der seine aufstrebende Wirtschaft gerade massiv pusht. Generell ist Asien, auch mit Japan und Südkorea, sehr gut aufgestellt. Aber die Konkurrenz beschränkt sich nicht auf einzelne Länder, sie wird weltweit immer stärker.
Würden uns denn Strafzölle helfen?
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Denn die Gefahr von Strafzöllen ist immer, dass am Ende alle verlieren. Wenn China mit Vergeltungszöllen reagiert, ist vor allem unser exportstarker Mittelstand schwer getroffen. Und wir bekommen bestimmte Produkte nicht mehr, die wir benötigen, zum Beispiel seltene Erden. Um ein Hochrüsten mit Zöllen zu gewinnen, muss man einen sehr langen Atem haben.
Oder ein eigener Inflation Reduction Act?
Subventionen wie dieses Programm zur Förderung von Investitionen in den USA helfen zwar kurzfristig, können aber einen Bumerangeffekt haben. Die USA nehmen zur Finanzierung riesige Kredite auf, die irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Am Ende wird das für den Steuerzahler sehr teuer. Und das Geld ist nur sinnvoll investiert, wenn es in die Infrastruktur und Innovationen gesteckt wird und nicht in den Konsum.
Bleibt uns also nichts weiter übrig, als zu warten, bis die Exporte wieder anziehen? Wann wird das voraussichtlich sein?
In diesem Jahr wird sich nicht mehr viel tun. Beim Ifo gehen wir aktuell davon aus, dass die Weltwirtschaft nächstes Jahr wieder anzieht und sich 2026 normalisiert. Dann wird auch die Nachfrage nach deutschen Produkten wieder steigen. Trotzdem genügt es nicht, einfach abzuwarten und die momentane Weltmarktschwäche auszusitzen. Denn die Exporte sind nur eine Sache. Dazu kommt aber noch, dass wir uns in einer generellen Wirtschaftskrise befinden. Um da rauszukommen, brauchen wir mehr Investitionen im Land, zum Beispiel in die Infrastruktur. Hier muss parallel auch etwas geschehen.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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