- Mikrochips sind Mangelware – auch wegen Corona.
- Moderne Mikrochips werden in einem extrem aufwändigen Produktionsprozess gefertigt.
- Die Industrie in Deutschland und der EU sind von Chip-Importen aus Fernost und der USA abhängig.
Dortmund. Sie sind winzig klein und gehören doch zu unserem Alltag wie die Tüte Kartoffelchips zum Fernsehabend: Mikrochips. Kein elektronisches System kommt ohne sie aus, sie stecken dutzendfach in Handys, Waschmaschinen und Autos. Ein Massenprodukt. Umso gravierender sind die Folgen, wenn die sprichwörtliche Tüte plötzlich leer ist.
Genau das ist derzeit der Fall: Es herrscht akuter Chip-Mangel! Die Hersteller produzieren auf Hochtouren – aber das reicht nicht. Und das spüren wir alle: Die neuesten Spielkonsolen sind derzeit kaum zu kriegen. Apple musste den Release der jüngsten iPhone-Generation verschieben. Und auch die Auto-Industrie ächzt unter dem weltweiten Chip-Engpass, musste ihre Produktion drosseln. Die englische BBC bezeichnete den weltweiten Chipmangel unlängst treffend als „Chippagedon“.
Mikrochips sind heiß begehrt – auch wegen Corona
Gründe für die leeren „Chips-Tüten“ gibt es einige: „Die rasant steigende Nachfrage weltweit, eine länger anhaltende Trockenheit im Chip-Land Taiwan, die wiederum zu Problemen mit der Wasserversorgung in den Fabriken führt. Und zu guter Letzt hat der ausgewöhnlich harte Winter in Texas die Produktion von Herstellern wie Samsung ebenfalls zum Erliegen gebracht“, erklärt Michael Karagounis, Professor für Elektronik an der Technischen Hochschule in Dortmund.
Und es gibt noch ein Problem. In der Corona-Pandemie findet unser Alltag häufiger in den eigenen vier Wänden statt. Das hat die Nachfrage für PCs, Tablets und Handys enorm erhöht.
„Gleichzeitig haben die Automobilhersteller mit einem Nachfrage-Einbruch wegen des Virus gerechnet und ihre Chip-Bestellungen reduziert“, sagt der Experte. Als die Nachfrage dann schneller als erwartet doch wieder anzog, waren die Fabrikkapazitäten der Chip-Hersteller bereits ausgeschöpft.
Hintergrund: Große Handyhersteller wie Apple, Samsung oder Huawei kaufen zusammen etwa die Hälfte der weltweiten Mirkochip-Produktion. Die Auto-Industrie dagegen nimmt nur etwa 8 Prozent ab – fast ein kleiner Fisch aus Sicht der Halbleiter-Hersteller, die 2020 einen weltweiten Umsatz von 466 Milliarden Dollar erzielten. Schon vor einiger Zeit appellierte der Verband der Automobilindustrie (VDA) an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, sich bei seinen Kollegen in Asien für die Bedürfnisse der deutschen Schlüsselbranche einzusetzen.
Die Chipproduktion ist langwierig und die benötigten Geräte sehr teuer
Wie aber löst man nun das Knappheitsproblem? Die Chip-Produktion einfach steigern? Das klingt gut. Ist aber nicht so leicht.
Denn: Moderne, leistungsstarke Chips durchlaufen einen extrem aufwendigen Produktionsprozess, der sogar einige Monate dauern kann. Halbleiterhersteller planen also ihre Kapazitäten lange im Voraus und können die stärkere Nachfrage der Automobil-Industrie nicht kurzfristig bedienen.
Experte Karagounis erklärt, wie das Ganze funktioniert: „Am Anfang eines Chips steht immer ein Halbleitermaterial, das elektrischen Strom leiten kann. Oftmals wird hochreines Silizium verwendet.“ Das chemische Material wird geformt und in hauchdünne kreisförmige Scheiben mit 200 bis 300 Millimeter Durchmesser geschnitten. Der so entstandene Wafer ist die Grundlage für alle weiteren Schritte.
Schicht für Schicht werden mit Tausenden Wiederholungen Schaltkreise und Transistoren auf den Wafer aufgetragen – feinste Strukturen und Leiterbahnen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. „Man kann es sich kaum vorstellen“, sagt der Experte, „in einem modernen Mikrochip können bis zu 50 Milliarden Transistoren integriert werden.“
In Reinräumen werden die verschiedenen Elemente zusammengefügt
Transistoren auf den fertigen Chips werden in Nanometern gemessen. Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters. Diese kleinen Halbleiter-Bauelemente sind zehn Nanometer groß. „Viel Spielraum nach unten ist da nicht mehr, weil man an physikalische Grenzen stößt.“ Zum Vergleich: Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von etwa 60.000 Nanometern. Und ein Nanoteilchen verhält sich im Größenvergleich ungefähr wie ein Fußball zur Erde!
Damit der Mikrochip später auch einwandfrei funktioniert, muss mit einer Genauigkeit von 100 Prozent gearbeitet werden. Der ganze Herstellungsprozess findet in sogenannten Reinräumen statt. Dort herrscht eine stabile Temperatur, die Luft ist beinahe staubfrei. Denn schon kleinste Partikel machen einen Silizium-Wafer unbrauchbar.
Umso überraschender ist es da, dass beispielsweise ein Chip für die Steuergeräte eines Autos laut Karagounis am Ende gerade mal „etwa so viel kostet wie ein Vollkornbrötchen“.
Unter den Chipgiganten ist kein Hersteller aus Deutschland oder der EU
Eine weitere Besonderheit der Chipbranche ist ihre Marktkonzentration. Die enormen Produktionsaufwände und Entwicklungskosten haben seit einigen Jahren dazu geführt, dass sich vor allem das Geschäft mit der neuesten Mikrochip-Generation auf wenige spezialisierte Anbieter fokussiert.
Bei diesen Auftragsfertigern – den sogenannten „Foundries“ – bestellen Kunden aus der Unterhaltungselektronik oder andere Industrieunternehmen ihre Mikrochips. „Die Auftragsfertiger haben den klaren Vorteil, dass die Auslastung ihrer Kapazitäten nicht von einer einzigen Branche oder einem Produkt abhängig ist. Dadurch ist das Risiko von Nachfrageausfällen gering, und sie können leichter die hohen Investitionen für die Geräte und neue Technologien aufbringen“, macht Karagounis deutlich.
Foundries gibt es weltweit nur eine Handvoll. Die führenden Unternehmen sind die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company – kurz TSMC – und die Foundry-Tochter von Samsung aus Südkorea. TSMC ist ein Vorreiter der Branche und entwickelt immer kleinere Transistoren. Europäische oder gar deutsche Hersteller können da nicht ganz mithalten.
Für den Standort Deutschland gibt es dennoch gute Nachrichten: Auch hierzulande werden Mikrochips gebaut, etwa in Dresden. Dort investieren Firmen wie Infineon oder Bosch gerade massiv in den Ausbau ihrer Fabriken. Ein Schritt in die richtige Richtung, sagt der Experte. „Die deutschen Chip-Hersteller produzieren innovative Produkte.“ Aber klar ist auch: TSMC oder Samsung sind ihnen mehrere Chip-Generationen voraus.
In Forschung und Ausbildung investieren, damit Deutschland aufholen kann
Mit einem implantierten Chip in der Hand Türen aufschließen und bezahlen? Das machen schon heute viele Menschen. Sie nennen sich Cyborgs.
Karagounis kann sich darum auch nur schwer vorstellen, dass der technologische Rückstand innerhalb weniger Jahre komplett aufgeholt wird. „Meiner Meinung nach ist es wahrscheinlicher, dass ein etablierter Auftragsfertiger einen Produktionsstandort in Europa eröffnen wird.“ Darum muss man schon jetzt in technische Ausbildung und Forschung investieren. Denn wenn die Fabrik einmal da ist, sollte sie mit innovativen Produkten aus Europa ausgelastet werden.
Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald.
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