Melle. Dreckig, laut, schwer – viele Schüler haben Vorurteile über eine Berufsausbildung in der Kautschuk-Industrie. „In unserer Branche haben sich die Berufsbilder sehr stark gewandelt“, sagt Georg zur Nedden, geschäftsführender Gesellschafter der Westland Gummiwerke. „Den typischen Schlosser oder Elektriker vergangener Generationen gibt es längst nicht mehr.“ Weil die Arbeitsinhalte für die heutigen Facharbeiter anspruchs- und verantwortungsvoller geworden sind, hält der Unternehmer die Branche für „total spannend“. Westland sucht Kontakt zu den Schulen der Region, lädt ein zu Praktika und besucht Ausbildungsmessen. Denn die Unkenntnis unter den Schulabgängern ist groß. Zur Nedden: „Holz- und Metallberufe kennt man. Doch wer weiß schon, wie Druckmaschinen funktionieren?“
Die Spezialität der Westland Gummiwerke sind gummierte Walzen für die Druck-Industrie. Sechs Nachwuchskräfte stellt das Unternehmen pro Jahr ein. Um junge Leute neugierig auf eine Berufsausbildung zu machen, ist der Kontakt über ein Praktikum oftmals der erste Schritt in die Ausbildung.
„Wir gehören zweifellos zu den industriellen Zukunftsbranchen“
„Dann können wir uns kennenlernen und zeigen, dass Kautschuk ein Hightech-Werkstoff ist“, sagt zur Nedden. „Wir gehören zweifellos zu den industriellen Zukunftsbranchen.“ Westland beging kürzlich seinen 100. Geburtstag. Tradition und Moderne – für den Firmenchef gehört ein guter Mix in der Mitarbeiterstruktur zur Zukunftsphilosophie.
Die klassische duale Berufsausbildung bleibt das Rückgrat der Nachwuchsschmiede. Vor neun Jahren hat das Unternehmen begonnen, neben den klassischen technischen und kaufmännischen Berufen auch dual Studierende einzustellen. 19 Azubis hat Westland, 7 davon machen ein duales Studium, mit technischen und kaufmännischen Schwerpunkten. „Mit besten Erfahrungen. Wir brauchen diese Qualifikation für das mittlere Management.“
Für zur Nedden ist es selbstverständlich, dass sich sein Unternehmen dem digitalen Wandel und einer nachhaltigen Ausrichtung stellt. Dabei geht es vor allem um faire Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette, also auch bei Lieferanten, und Rücksicht auf das Klima, Umwelt und Ressourcen.
Generationenwerkstatt baut lernschwachen Jugendlichen Brücke zur Ausbildung
Umwelt- und Energiemanagement sind Bestandteil der Firmenstrategie, „wenn wir in Zukunft die besten Talente für uns gewinnen wollen“. Den Wettbewerb um die klugen Köpfe werde der Markt regeln. Dazu zählen auch intelligente Arbeitszeitmodelle, um jungen Frauen zu ermöglichen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. „Corona hat gezeigt, dass Homeoffice für einige durchaus Sinn machen kann.“ Elternzeit für Väter ist auch bei Westland längst zur Normalität geworden.
Für Georg zur Nedden ist das deutsche Bildungssystem nicht so schlecht, „wie es häufig gemacht wird“. Dennoch dürfe man niemanden durchs Raster fallen lassen. Dies sei teuer, weil Abbrecher die Sozialsysteme belasten. Es sei auch die Aufgabe der Unternehmen, Schüler an den Beruf heranzuführen. Sein Unternehmen geht seit vielen Jahren noch einige Schritte weiter. Westland ist Partner der Generationenwerkstatt. Die lokale Initiative baut lernschwachen Jugendlichen die Brücke in die Ausbildung. Das Unternehmen plant zudem, die Automatisierung weiter zu stärken, ohne Mitarbeiter abzubauen. Erste Leuchtturmprojekte sind umgesetzt und weitere angedacht – die Zukunft hat der Familienunternehmer fest im Blick.
Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.
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