Es gibt immer mehr junge Erwachsene, die weder das Abi noch eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Ihr Anteil unter den 25- bis 34-Jährigen liegt hierzulande inzwischen bei 16 Prozent – und damit 2 Prozentpunkte über dem Schnitt von 38 Industriestaaten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die gerade von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris veröffentlicht wurde. 

Besonders besorgniserregend: Als eines von nur vier OECD-Ländern hat Deutschland sich da sogar verschlechtert. Während in fast allen Industriestaaten heute mehr junge Menschen einen soliden Abschluss machen als noch 2016, sank der Anteil dieser Gruppe in Deutschland um 3 Prozentpunkte. „Die Zahlen sind dramatisch – und bei Teilgruppen wie den unter 25-Jährigen sogar noch deutlich schlechter“, kommentiert Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) in Berlin.  

„Jobben ist für einen Teil der Jugend attraktiver als eine Ausbildung“

Bildungsforscher wie er sehen eine ganze Reihe von Gründen für die (Aus-)Bildungskrise im Land der Ingenieure, Dichter und Denker. Zum Beispiel falsche finanzielle Anreize. „Jobben ist für einen Teil der Jugend offenbar attraktiver als eine Ausbildung, weil der Mindestlohn höher ist als die Ausbildungsvergütung“, sagt Dohmen. Um das zu ändern, könnte man Ausnahmen beim Mindestlohn für junge Erwachsene einführen, sagt der Bildungsökonom.

„Das Problem beginnt in der Kita“ 

Bildungsforscher Dieter Dohmen

Doch nicht erst bei der Entscheidung für oder gegen eine Ausbildung hat das deutsche System Schwächen. „Das Problem beginnt in der Kita“, sagt Dohmen. Hier fehle es vielerorts an Betreuungsplätzen und Personal. „Die Folge ist, dass wir viele Familien mit Angeboten der frühkindlichen Bildung nicht erreichen. Und oft sind das gerade diejenigen, die diese Unterstützung am meisten gebrauchen könnten“. Lesen Sie auf aktiv-online.de auch wie insbesondere Schüler mit der neuen Bildungsinitiative Startchancen unterstützt werden. Bedarf sehen Experten vor allem bei Kindern, in deren Familie kaum Deutsch gesprochen wird. Laut der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu-Studie) von 2023 geben fast 20 Prozent der Viertklässler an, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist.

Sprachdefizite lassen sich in großen Lerngruppen nur schlecht beheben

„Wir haben das Thema Migration lange vernachlässigt in der Schule“, kritisiert Bildungsökonom Dohmen. „Bei Klassen mit 25 Schülern können sich Lehrkräfte aber nicht ausreichend um Schüler mit Sprachdefiziten kümmern.“ Oft würden sie einfach mitgezogen – „und am Ende ihrer Schullaufbahn sind viele immer noch funktionale Analphabeten“.

Wie lässt sich die Lage verbessern? In einem sind sich Bildungsforscher einig: Schulen brauchen vor allem mehr Personal, um Schüler besser individuell zu fördern. „Denkbar wäre, Lehramtsstudierende schon in höherem Semester als Assistenz-Lehrkräfte einzusetzen. Und Sozialarbeiter und andere Fachkräfte einzustellen, die Lehrer von unterrichtsfremden Aufgaben entlasten“, schlägt Dohmen vor. Die Forschung zeige, dass kleinere Lerngruppen vor allem Kindern aus benachteiligten Familien helfen. Und gerade sie stehen später bisher oft ohne Abschluss da.

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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