Berlin/Köln. Eine Überholspur im Internet für besonders eilige Daten: Was viele große Unternehmen schon lange fordern, will die Bundeskanzlerin jetzt durchsetzen. „Das fahrerlose Auto oder die Telemedizin“, sagte Angela Merkel kürzlich, „kann es nur mit einer fehlerfreien und allzeit gesicherten Übertragung geben.“
So wie bei Youtube-Videos darf der Datenstrom nicht ruckeln, wenn in naher Zukunft ein Chirurg online einen Operationsroboter steuert. Oder das Google-Auto links abbiegt. Dennoch bricht Merkel mit ihrem Ruf nach Vorrangleitungen für Spezialdienste ein Tabu: Bisher gilt das Prinzip der Netzneutralität, nach der alle Daten gleich behandelt werden. Während die Mitgliedsstaaten der EU noch um eine gemeinsame Position in diesen heiklen Fragen ringen, treibt Deutschlands Regierungschefin die Debatte voran.
Auch sonst drückt die Große Koalition beim Thema Internet aufs Tempo: Der Ausbau des Datennetzes steht ganz oben auf der „Digitalen Agenda“ der Bundesregierung. „Flächendeckend“, heißt es darin, sollen ab 2018 Breitbandanschlüsse zur Verfügung stehen, vor allem über Glasfaser. 2013 waren 34 Prozent des Landes an solche schnellen Hochleistungsverbindungen angeschlossen, 2014 waren es schon 65 Prozent. Den Erlös aus einer neuerlichen Versteigerung von Mobilfunklizenzen in diesem Jahr will die Regierung dafür verwenden. Zusätzlich zu den 8 Milliarden Euro, die große Firmen wie Netzbetreiber investieren werden.
Unternehmen erwarten starkes Wachstum
Die gesamte Industrie steckt pro Jahr sogar 40 Milliarden Euro in die Digitalisierung. Eile ist geboten, wenn die deutsche Wirtschaft mit amerikanischen Internetkonzernen Schritt halten soll, die ganze Branchen revolutionieren. Das Potenzial in den Betrieben ist vorhanden: Jedes zweite Unternehmen erwartet bis 2020 ein zweistelliges Wachstum, wenn es Produkte und Service stärker digitalisieren kann. Allein dadurch, so die Unternehmensberatung PwC, kann die Industrie jährlich über 30 Milliarden Euro zusätzlich an Umsatz einfahren.
Und das Internet ist ein Job-Motor: Durch den Breitbandausbau sollen in den nächsten fünf Jahren bundesweit 237.000 Arbeitsplätze direkt entstehen – und weitere 427.000 indirekt, etwa durch Innovationen, heißt es in einer Studie des Kölner Beratungsunternehmens IW Consult.
Doch wie funktioniert digitales Wachstum? Das zeigt ein Blick in einen mittelständischen Betrieb: Bei Enviro-Chemie im hessischen Roßdorf und anderen Standorten planen und bauen 390 Mitarbeiter Anlagen zur Aufbereitung von Wasser und Abwasser in der Industrie. Zusätzlich bieten sie Steuerung und Fernwartung über Datenleitungen an. „Das Internet ist für uns existenziell“, sagt Geschäftsführer Gottlieb Hupfer. „Wir könnten sonst nicht in Südafrika, China und Brasilien gleichzeitig Projekte betreiben und Anlagen unserer Kunden steuern.“ Gut ein Viertel der Wertschöpfung hängt daran.
Zu 300 Unternehmen hält Enviro-Chemie online Service-Kontakt. „Mit vielen schließen wir Geheimhaltungsvereinbarungen ab“, sagt Hupfer. „Die Kunden müssen sicher sein, dass ihnen über die Datenverbindung kein Schaden entsteht.“ Mehr Sorgen als Industriespionage bereitet ihm ein anderes Problem: „Wir müsssen unsere ferngesteuerten Prozesse davor schützen, dass sie zum Beispiel durch Computerwürmer gestört werden.“
IT-Sicherheitsgesetz kommt dieses Jahr
Welche zerstörerische Kraft in solchen Schadprogrammen stecken kann, hatte vor einigen Jahren der Computerwurm Stuxnet gezeigt. Ursprünglich programmiert, um die Steuerung iranischer Atomkraftwerke zu stören, verbreitete er sich weltweit. Denn das Bauteil, gegen dass er sich richtete, steckte auch in vielen anderen Industrie-Anlagen.
Mit dem IT-Sicherheitsgesetz, das 2015 verabschiedet werden soll, will die Bundesregierung die Betreiber von „systemrelevanter Infrastruktur“ verpflichten, ihre Systeme zu schützen – etwa Telekommunikationsfirmen, aber auch Wasserwerke, Banken und Versicherungen.
„Die Branchen werden zwei Jahre Zeit bekommen“, sagt Karsten Zimmer, „um ihre Sicherheitsstandards zu definieren.“ Der IT-Sachverständige aus dem westfälischen Menden, der unter anderem für das Bundeskriminalamt arbeitet, hält das Gesetz zwar für sinnvoll: „Vor allem aber müssen wir Angreifern immer einen Schritt voraus sein.“ Schließlich drohe nicht nur von einzelnen Hackern Gefahr, sondern auch von Staaten und großen Organisationen.