Schweinfurt. Mehr als ein Jahr ist es her, dass Russland in die Ukraine einmarschierte. Seither leiden die Menschen dort unter dem schrecklichen Krieg. Das gilt auch für viele Mitarbeiter des Wälzlagerherstellers SKF, der in der westukrainischen Stadt Lutsk eine große Produktionsstätte betreibt.

Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Werk nach wie vor produziert. Dazu beigetragen hat unter anderem Lars Möwe-Jarren. Der Supply-Chain-Manager koordinierte zu Beginn des russischen Angriffskriegs im SKF-Schwesterwerk in Schweinfurt alle Maßnahmen, die sicherstellten, dass die Lieferketten zu Kunden und zwischen einzelnen SKF-Werken funktionierten.

„Es ging darum, schnell und unbürokratisch Lösungen zu finden“, beschreibt Möwe-Jarren seine Aufgabe. Denn das Werk in Lutsk fertigt mit rund 1.100 Mitarbeitern beispielsweise Innen- und Außenringe, Wälzkörper sowie komplette Wälzlager. Einiges geht direkt an Kunden, anderes zur Weiterverarbeitung etwa in Werke nach Schweinfurt oder Lüchow (Niedersachsen). Fallen diese Lieferungen aus, pausiert dort die Produktion.

Die Mitarbeitenden in der Ukraine entschieden: „Wir machen weiter“

Der „Krisenstab“ bestand aus einem crossfunktionalen Team mit Vertretern der gesamten Wertschöpfungskette: von Kundenbetreuung und Verkauf über Logistik und Lieferketten-Management bis zu Produktion und Einkauf. „So hatten wir alle wichtigen Stellen im Blick und konnten sowohl intern schnell kommunizieren als auch unseren Kunden zügig Updates zur Lage geben.“

Zunächst plante man ohne das ukrainische Werk. Es war aus Sicherheitsgründen geschlossen, da die Stadt zu Kriegsbeginn bombardiert wurde. „Doch nach wenigen Wochen signalisierten die Kollegen, dass sie weiterarbeiten wollen.“ Schnell mussten neue Stahllieferanten her – vorher kam alles aus Russland. Nun produziert Lutsk mit Stahl aus Europa – und weniger als vorher.

Denn natürlich ist die Lage vor Ort eine große Herausforderung: Knapp 100 SKF-Beschäftigte wurden bislang zum Kriegsdienst eingezogen, viele Familien trauern um Angehörige. Die Energieversorgung stockt, die Menschen leben in kalten Wohnungen.

Dass SKF in Lutsk trotzdem weitermacht, sehen auch die Kunden nicht als selbstverständlich an. Der Landtechnikkonzern Agco hat SKF deshalb sogar Anfang Februar einen Preis verliehen – für die nach wie vor „bedarfsgerechte Belieferung“. Agco produziert unter anderem in Marktoberdorf im Allgäu Traktoren der Marke Fendt.

Entscheidend für die weiterhin stabilen Kundenbeziehungen sei der enge Austausch mit den Partnern gewesen, sagt Möwe-Jarren. „Wir wussten, für wen welche Zulieferung entscheidend ist, und haben dies in unserer eigenen Produktion priorisiert.“ Dabei habe der Krisenstab immer wieder ungewöhnliche Lösungen gesucht. „Wir haben Ideen extrem schnell umgesetzt, aber genauso schnell wieder revidiert, wenn sie doch nicht passten“, blickt er zurück.

Schweinfurter Kollegen wandeln Überstunden in Spenden um

Nicht zuletzt sei diese Leistung dem internationalen SKF-Team zu verdanken. „Und die Solidarität mit den Kollegen in Lutsk ist sehr hoch.“ Das geht über die Arbeit hinaus: Die Kollegen in Schweinfurt spendeten bislang Hilfsgüter und medizinische Ausrüstung im Wert von mehr als 260.000 Euro. Dafür wandelten sie etwa Überstunden in Geld um, die sie auf ihren Zeitkonten angesammelt hatten. Zu Weihnachten sendeten sie zudem 650 Päckchen nach Lutsk.

Während diese Hilfe weiterläuft, weil der Krieg noch anhält, haben sich die neuen Lieferwege inzwischen eingependelt. Und Möwe-Jarren hat eine neue Aufgabe übernommen: Er verantwortet nun das Controlling für den Automobilverkauf in Europa. „Die Erfahrungen aus der Krisenzeit nehme ich aber mit“, sagt er. „Neues probieren und schnell etwas ändern, wenn man merkt, es war falsch, das will ich beibehalten.“

Russischer Angriffskrieg trifft unsere Wirtschaft

Die Menschen in der Ukraine leiden unter dem russischen Angriffskrieg. Auch Bayerns Wirtschaft spürt Auswirkungen.

  • Gebremste Konjunktur. Die Aufholdynamik nach Corona ist verpufft, es gibt erneute Lieferkettenprobleme, die hohe Inflation belastet Privatleute und Firmen.
  • Energiekrise. Erdgas und vor allem Strom sind teuer wie nie. Um die hohen Kosten zu senken, muss Tempo in den Ausbau der erneuerbaren Energien kommen.
  • Wirtschaft hilft den Flüchtlingen. Wenige Wochen nach Kriegsbeginn haben die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und die Metall- und Elektro-Arbeitgeberverbände bayme vbm mit ukraine.sprungbrett-intowork.de eine Online-Plattform installiert, die Geflüchtete und Unternehmen zusammenbringt. Etwa 2.900 Jobangebote von 1.500 Unternehmen wurden inseriert.
Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

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