Rheine. Eine frisch produzierte Stoffrolle, die würde sich schon ganz gut machen auf dem aktiv-Foto … Also mal kurz 35 Kilo hochheben? Kein Problem für Akhtar Elham. Seine Armmuskeln spannen sich, dann steht er mit der Rolle lächelnd zwischen den Kollegen.

Elham (20) ist Auszubildender beim Textilunternehmen Kettelhack in Rheine, er lernt hier Fachkraft für Lagerlogistik. Natürlich schleppt er die Stoffrollen normalerweise nicht einfach so durchs Lager, sondern mit einem Gabelstapler.

„Ich mache Ware für den Abtransport fertig, kontrolliere Lieferscheine und prüfe Barcodes“, erklärt der junge Afghane. Übrigens in schon ganz ordentlichem Deutsch – als er vor drei Jahren aus dem kriselnden Land flüchtete, konnte er noch kein Wort.

Auch sonst hat er seitdem schon einiges stemmen müssen. Die größte Hürde: „Einen Ausbildungsplatz zu finden“, sagt Elham im Rückblick. Nur so sah er für sich die Chance, als Flüchtling in Deutschland Fuß zu fassen, sich eine Zukunft aufzubauen.

„Im Juni 2017 kam Akhtar deshalb an unseren Stand auf der Ausbildungsmesse in Rheine“, erinnert sich Stefanie Windhoff. Die Assistentin der Geschäftsleitung gehört zu einem Team von Kettelhack-Kollegen, die Elham dabei geholfen haben, sich in seinem neuen Leben zurechtzufinden.

In Sachen Ausbildung zeigt sich das mittelständische Unternehmen sehr flexibel

Es beginnt mit einer einjährigen Einstiegsqualifizierung bei Kettelhack im Bereich Veredelung. „Dabei wurde uns schnell klar, dass seine Deutschkenntnisse besser werden mussten“, erinnert sich Windhoff. Also kümmerte sie sich um weitere Deutschkurse, damit Elham den Stoff in der Berufsschule besser verstehen kann.

Während das Team um Windhoff mit Berufsschule und Behörden Kontakt hält und sich durch die Regeln des Ausländer- und Aufenthaltsrechts arbeitet, damit Elhams Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig verlängert werden kann, entdeckt der junge Mann sein Interesse für die Logistik.

„Im Lager kommt es viel auf Absprache und Organisation an, man redet mehr miteinander. Das hat mir gefallen. In der Veredelung arbeitet man für sich, da ist alles sehr technisch.“

„Nach einem Praktikum im Lager war klar: Diese Arbeit passt viel besser zu ihm“, erinnert sich Ausbilder Pascal Hofner. „Da haben wir dann eben flexibel reagiert.“ Geeigneten Nachwuchs muss man in Zeiten des Fachkräftemangels auf jeden Fall im Betrieb halten – davon ist Hofner überzeugt.

Seit einem Jahr absolviert Elham inzwischen die Ausbildung zur Fachkraft Lagerlogistik. Der Job liegt ihm. Die Abläufe gehen ihm schon gut von der Hand: Etiketten einscannen, Paletten zusammenstellen, Lieferscheine prüfen.

Und falls es mal hakt: „Ich weiß, meine Kollegen helfen mir, ich kann jederzeit zu ihnen kommen“

Akhtar Elham

Das gibt ihm den Mut, sich in dem 100-Mann-Betrieb auch jenseits der täglichen Arbeit zu engagieren. Im September etwa war er beim AOK-Firmenlauf dabei – ganz ohne Vorbereitung.

Die Arbeit macht ihn selbstbewusster und eigenständiger

Kein Wunder: Sport ist sein Hobby. Mindestens zweimal die Woche geht Elham ins Fitness-Studio. Am Wochenende kellnert er, um sich sein eigenes Zimmer in einer Wohngemeinschaft zu finanzieren. „Im Moment bleibt da nicht viel Freizeit“, sagt er.

Andererseits wächst mit dem Job und dem eigenen Zimmer sein Selbstwertgefühl. Das merkten zuletzt auch die Kollegen im firmeneigenen Azubi-Workshop zur Vorbereitung der jüngsten Ausbildungsmesse: „Akhtar ist selbstbewusster geworden, kann konstruktiv Kritik üben, fragt nach“, freut sich Windhoff.

Kein Vergleich mehr zu dem unsicheren Jugendlichen, der vor gut zwei Jahren das erste Mal am Kettelhack-Stand auftauchte.

Und genau da stand der junge Afghane dieses Jahr wieder – nicht mehr als Hilfesuchender, sondern als Vertreter seines Arbeitgebers auf der Suche nach Nachwuchs!

Was war das für ein Gefühl? Akhtar Elham lacht, lässt sich Zeit mit der Antwort, denkt etwas nach, dann sagt er: „Das war schon besonders. Da hat für mich ja alles angefangen. Jetzt habe ich das Gefühl, gut angekommen zu sein.“

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Über die Ausbildungsmesse in Rheine, bei der ich auch am Stand von Kettelhack war. Nach einer Einstiegsqualifizierung mache ich jetzt eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik.

Was reizt Sie am meisten?

Die Arbeit im Team zu erledigen – und ich möchte, dass sich meine Kollegen auf mich verlassen können!

Worauf kommt es an?

Miteinander zu reden und sich gegenseitig zu unterstützen. Das hat mir in den letzten Monaten auch oft sehr geholfen.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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