Wuppertal. Vulkan … was? Als Ahmed Rabhi 2013 bei Sachsenröder in Wuppertal als Chemieingenieur anfing, musste er praktisch jedem Gesprächspartner erklären, was Vulkanfiber ist: ein Kunststoff auf rein pflanzlicher Basis, den es seit 1881 gibt. Das mittelständische Chemieunternehmen stellt ihn aus Zellstoff von zertifiziertem Holz sowie aus den feinen Samenhärchen der Baumwollblüte her.

Druck und ein Bad in Schwefelsäure vernetzen die Fasern untereinander sowie mit den benachbarten Papierbahnen derart, dass ein fester und widerstandsfähiger Schichtstoff entsteht. Rabhi macht für aktiv die Probe aufs Exempel: Ein nasses Blatt Papier zerreißen? Kinderleicht! Ein in Säure getauchtes Papier? Geht kaum! Anschließend wird die Säure vollständig aus dem Material ausgewaschen und wiederverwendet.

Neue Produkte auf Basis bewährter Rezepte

Der 55-Jährige ist Forschungs- und Entwicklungsleiter des 65-köpfigen Betriebs. Nach dem Studienabschluss mit dem Schwerpunkt Textilchemie blieb der gebürtige Marokkaner zehn Jahre an der Uni Wuppertal bei seinem damaligen Professor für Analytik und lernte in zahlreichen Projekten Mittelständler und Konzerne in ganz Deutschland kennen. Zu Dirk Sachsenröder, der das gleichnamige Unternehmen in der vierten Generation führt, hat er schnell einen guten Draht gefunden: Der Firmenchef ist sehr offen für Kooperation mit der Wissenschaft.

Rabhis Aufgabe ist es, nach neuen Anwendungen auf Basis der alten Rezeptur zu suchen und das leichte, robuste Material an neue Herausforderungen anzupassen. Etwa für Förster: Stürme, Dürre, Waldbrände und der Borkenkäfer setzen den Wäldern zu. Baumarten, die mit dem Klimawandel besser zurechtkommen, werden derzeit überall in Deutschland gepflanzt. Wuchshüllen schützen die Setzlinge vor Frost und Tieren, die gern an ihnen knabbern. Millionen solcher Kunststoffröhren werden jedes Jahr in Deutschland eingesetzt.

Das Problem: Nach paar Jahren ist der junge Baum ausgewachsen, die Hülle platzt – und bleibt meist im Wald liegen oder zerfällt zu Mikroplastik. Die Forstwirtschaft braucht Wuchshüllen, die sich restlos unter natürlichen Bedingungen zersetzen. Vorher sollen sie aber fünf Jahre lang das Bäumchen schützen. Die plastikfreie Vulkanfiber ist genau das Material, das beides kann, so Rabhi. „Der Reiz unseres Produkts ist die Nachhaltigkeit“: Nicht nur ist es ein reines Naturprodukt aus zertifizierter Zellulose „aus dem Wald für den Wald“. Es ist zudem ohne Spezialbedingungen kompostierbar. Wasser und Mikroorganismen aus dem Waldboden zersetzen allmählich die Wuchshülle von unten, sie wird immer kleiner.

Derzeit testen Forstbetriebe in Warstein und St. Peter fast 1.000 nachhaltige Röhren, für die Sachsenröder das Material an einen spezialisierten Hersteller liefert, als Teil des Forschungsvorhabens „TheForestCleanup“, gefördert durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe. Die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg und das Hohenstein-Institut prüfen die Abbaubarkeit im Labor und in der Natur.

Wuchshüllen treffen bei Förstern auf reges Interesse

„Es ist unsere erste Anwendung für draußen. Die Idee entstand 2015“, erzählt Rabhi. Der Firmenchef hatte im Urlaub Rebschutz in den Weinbergen gesehen, Bilder mitgebracht und so begann das Herumexperimentieren. Das ursprüngliche Material verformte sich bei Feuchtigkeit, also musste eine Beschichtung her, aber eine, die biologisch zu 100 Prozent abbaubar ist. „Wir haben fast alle Beschichtungen auf dem Markt getestet“, sagt der Forschungsleiter. Schließlich hat er Experten bei Covestro angesprochen, die er aus seiner Zeit an der Uni kannte. Mit ihrer Hilfe wurden verschiedene Formulierungen entwickelt und optimiert, bis es passte. Mit Erfolg: Die Förster würden ihm schon jetzt „die Wuchshüllen aus den Händen reißen“, freut er sich. Verkauft werden sie erst ab dem Frühjahr, wenn die wissenschaftlichen Tests abgeschlossen sind.

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Ich hatte einen Chemielehrer, der sehr gut erklären konnte.

Worauf kommt es an?

Nichts geht über Ausprobieren. Mit Theorie allein sind die Probleme nicht zu bewältigen. Solange man gute Partner hat – also nicht spekulieren, sondern ausprobieren.

Was reizt Sie dran?

Der Erfolg. Wenn ich etwas anfange, will ich es auch zu Ende führen. Bisher funktioniert es meistens.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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