Plettenberg. Hier geht es um Stahl. Daran besteht kein Zweifel beim Gang übers Betriebsgelände. Auf dem Hof lagern Drahtcoils. Neben dem Flüsschen, der durchs Gelände plätschert, stapeln sich die Stahlstäbe. Im Hochregallager glänzt der Blankstahl in 20 Meter Höhe. „Wir bevorraten mehr als 50.000 Tonnen an Roh- und Fertigmaterial“, sagt Geschäftsführer Markus Krummenerl. Viel Auswahl für die Kunden – und die Grundlage, auf der die Westfälische Stahlgesellschaft (WS) seit mehr als 100 Jahren steht. Sie kauft und verkauft Stahl – in den Handelshäusern in Plettenberg, Löhne (Ostwestfalen) und Stuhr-Brinkum (bei Bremen). Sie produziert hochwertigen Blankstahl im Ziehwerk Plettenberg, und sie hat eine hohe Kompetenz in der Werkstoffprüfung.

Voll automatisiertes Hochregallager

„Diese Kombination macht uns relativ einzigartig“, sagt Markus Krummenerl, der gemeinsam mit Bruder Friedrich Wilhelm jun. und Thomas Schaumann das Familienunternehmen in dritter Generation führt. Vom Mainstream und Massen-Stahl habe man sich verabschiedet, setze auf große Expertise und umfassenden Service. Darin sieht das Geschäftsführer-Trio, unterstützt vom Seniorchef Friedrich Wilhelm Krummenerl sen., die Zukunft. An der arbeiten sie ganz bewusst am Standort Deutschland, von dem aus Kunden in 40 Ländern beliefert werden.

Gerade wird in Plettenberg ein weiteres voll automatisiertes Hochregallager in Betrieb genommen. In das Logistikzentrum, das entsteht, wird das Plettenberger Handelshaus verlagert mit einer Lagerkapazität von 10.000 Tonnen Stahl und den Anlagen für die kundengerechte Bereitstellung des Materials.

Am Stammsitz wird so Platz geschaffen für ein weiteres Blankstahlcenter zum Schälen und Richten. Rund 100.000 Tonnen Walzstahl jährlich verarbeitet das Ziehwerk zu Blankstahl, indem er entzundert und gezogen oder aber geschält wird. Kontinuierlich ist in der Vergangenheit die Produktion immer wieder auf den neuesten Stand der Technik gebracht worden, zuletzt mit der innovativen Richtanlage eines österreichischen Start-ups und einem dritten selbstständig chargierenden Wärmebehandlungsofen. Mit der neuen Produktionslinie kann die Kapazität um 15.000 Jahrestonnen erweitert werden.

Der glatte Blankstahl wird auch höchsten Sicherheitsansprüchen gerecht

Darum geht es aber nicht allein. „Wir wollen nicht mehr, sondern anderes und Besseres produzieren“, erklärt Thomas Schaumann. Der glatte Blankstahl lässt sich besser bearbeiten als das warmgewalzte Vormaterial und wird auch höchsten Sicherheitsansprüchen gerecht. Die Perfektionierung und Verfeinerung der Produktion eröffnet Chancen, mit speziellen Eigenschaften und besonderen Produkten zu punkten.

Nur ein Beispiel, das Schaumann anführt: Um Dieselinjektoren, weltweit längst kein Auslaufmodell, noch effektiver zu machen, komme es darauf an, selbst die kleinsten Einschlüsse im Material zu erkennen. Das WS-Werkstofflabor bietet da einen Standard, der nicht typisch ist für ein Unternehmen dieser Größe.

Von der Großlast-Zugprüfmaschine (Zugkraft: 120 Tonnen) über Ultraschallprüftechnik und Röntgendiffraktometer bis hin zum Feldemissions-Rasterelektronenmikroskop, das hochauflösende Vergrößerungen im Nanobereich liefert, bieten sich Hightech-Prüfmöglichkeiten, die zunehmend auch von anderen Unternehmen nachgefragt werden – ein zusätzliches Segment, das Zukunft sichert.

Firmengruppe bezieht 95 Prozent des Stahls aus Europa

So wie die Klimaneutralität, die für die eigene Wertschöpfungsstufe an allen Standorten erreicht wurde. „Sie ist ein Baustein für die Zukunft“, sagt Markus Krummenerl. Und sein Bruder Friedrich Wilhelm ergänzt: „Das ist kein Marketinggag. Jeder sollte sich Gedanken machen. Wir wollen eine Vorreiterrolle in der Branche einnehmen.“ Aus eigenem Antrieb und aus eigenem Portemonnaie, wie er betont.

Nicht auf alles hat man Einfluss. Immerhin: WS bezieht 95 Prozent des Stahls aus Europa – alles andere wäre schlecht für die CO2-Bilanz. „Stahl aus China holen, hier bearbeiten und dann wieder nach China liefern – ein Irrsinn“, sagt Schaumann. So oder so, der Stahl kommt auf Lkws nach Plettenberg. „Wir hätten gerne unseren Gleisanschluss behalten“, bedauert Markus Krummenerl, „unser Produkt gehört eigentlich auf die Schiene.“

Kein Stahl mehr aus Russland

  • In der Vergangenheit hat die Westfälische Stahlgesellschaft auch Stahl aus Russland und Belarus für seinen Handel bezogen. Wenige Stunden nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben die Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung auch offene Bestellungen bei den russischen Werken storniert.
  • „Wir wollen die meist staatlich betriebenen Werke und damit die Staatskasse von Russland nicht unterstützen“, so Markus Krummenerl.

Größter Hebel beim Klimaschutz ist die Stromnutzung

Das ist so nicht mehr machbar. Der größte Hebel beim Klimaschutz ist der Strombedarf – neun Millionen Kilowattstunden jährlich. Zum Januar 2021 stellte die WS den Bezug komplett auf Ökostrom um. Daneben setzt man auf Energieerzeugung und -einsparung wie Photovoltaik, wo es möglich ist, oder Energierückgewinnung in den beiden Hochregallagern. „Natürlich produzieren wir noch CO2. Die Glühöfen werden mit Erdgas beheizt, es gibt im alten Gebäude noch eine Ölheizung. Das bekommen wir kurzfristig nicht weg, aber das Reduzieren ist ein fortwährendes Thema“, meint Friedrich Wilhelm Krummenerl: „Unseren CO2-Fußabdruck konnten wir so um zwei Drittel reduzieren.“ Der Rest wird kompensiert mit der finanziellen Unterstützung eines zertifizierten Klimaschutzprojekts. „Leider gibt es davon nur wenige in Deutschland. Wir hätten gern etwas hier gemacht, zum Beispiel Aufforstung in Südwestfalen“, sagt Schaumann.

Da klingt die Verbindung zur Heimat durch, die für die geschäftsführenden Familien eng verknüpft ist mit der Verantwortung für die Menschen. „Wir haben uns früh mit unseren Vätern Gedanken gemacht, wie die Nachfolge geregelt wird“, sagt Markus Krummenerl: „Das ist auch für die Mitarbeiter wichtig.“ Die sind oft selbst schon lange dabei, teilweise in zweiter oder dritter Generation. Und möglichst im Betrieb ausgebildet, betonen die Geschäftsführer: „Wir stellen weiter ein, wir bilden weiter aus. In mehr Berufen als vor zehn Jahren und für unseren Bedarf.“ Auch das ist Zukunft.

Begegnung mit...

Alles im Griff: Lukas Seiler hat seinen Platz im Betrieb gefunden.
Alles im Griff: Lukas Seiler hat seinen Platz im Betrieb gefunden. Bild: aktiv/Daniel Roth

Lukas Seiler: Immer gerne vorn mit dabei

Als Schüler eher desinteressiert, ist er heute ein geschätzter Vorarbeiter

Vor gut zehn Jahren verließ Lukas Seiler die Hauptschule nach der neunten Klasse. „Ich war schultechnisch … hmm … eher desinteressiert“, umschreibt er das. Heute ist er Vorarbeiter, denkt auch schon mal über die Meisterschule nach. So kann es gehen.

Mit 16 rutschte Lukas eher zufällig in die Industriemechaniker-Ausbildung. Sein Klassenlehrer hatte privat einen Bekannten, beschäftigt bei WS, angesprochen. „Sie haben gesehen, dass ich technisch interessiert bin. Ich hab mir das hier angeguckt und konnte mir gut vorstellen, das zu machen“, sagt er: „Und je länger ich hier arbeite, desto besser finde ich es.“

Wenn etwas nicht läuft, ist sein Einsatz gefragt

Schon während seiner Ausbildung ist der 27-Jährige viel im Betrieb herumgekommen. Anschließend war er direkt am Bau des ersten Hochregallagers beteiligt. „Es gibt nicht viele, die sich da drinnen so gut auskennen“, erklärt er. Zahlreiche neue Anlagen hat er seitdem mit in Betrieb genommen, ist mit nach Österreich gefahren, um dort die neue Zugbank anzuschauen: „Ich bin gerne vorn mit dabei und immer offen, wenn etwas Neues kommt.“

Seit einem Jahr ist er Vorarbeiter, kümmert sich um die Überwachung der Produktion und Termine, ist Ansprechpartner, wenn etwas nicht läuft, führt Teamgespräche. Er ist die rechte Hand vom Meister. Der sagt: „Lukas ist ein Guter.“ Glück hat er gehabt, dass das schon vor zehn Jahren jemand erkannt hat.

Persönlich

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Ich bin durch Kontakte hier reingerutscht. Beim Vorstellungsgespräch hat man mir alles gezeigt, das hat mir gefallen.

Was reizt Sie am meisten?

Das Abwechslungsreiche. Ich habe tagtäglich mit etwas anderem zu tun. Das wird nie langweilig. Schön ist auch das Familiäre hier, jeder kennt jeden.

Worauf kommt es an?

Auf die Zusammenarbeit. Das kollegiale Miteinander ist sehr wichtig.

Hildegard Goor-Schotten
Autorin

Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie außerdem bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten

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