Dass die überschüssigen Pfunde auch bei vielen Deutschen immer weiter zunehmen, wird in der öffentlichen Meinung gern darauf geschoben, dass viele in Deutschland zu fett essen: Fett macht fett. Was ist dran an solchen Mythen? Hier nimmt der Ernährungsexperte Carl Meißner solche Aussagen unter die Lupe. Er ist Oberarzt für Allgemein- und Bauchchirurgie an der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie (Bauchchirurgie) am Klinikum Magdeburg.
Mythos 1: Von Fett wird man dick und krank
„Nicht das Fett macht dick, sondern die Menge der Nahrung, die man täglich zu sich nimmt“, sagt Ernährungsexperte Meißner. Wir essen einfach zu viel. „Nur 8 Prozent der Menschen im Land können gut einschätzen, wie groß ihr täglicher Energiebedarf tatsächlich ist.“
Isst man mehr, als der Körper verbraucht, wird der Energieüberschuss als Fett im Körper eingelagert. Macht man das ständig, wachsen die Schwimmringe. Der Rat des Experten: „Dagegen hilft weniger und ausgewogen sowie abwechslungsreich essen – und ausreichend Bewegung, Sport, Aktivität: das verbraucht Energie.“
Nützlich: Mit einem Kalorienrechner im Internet kann man gut ausrechnen, wie viel Energie man im Durchschnitt täglich benötigt.
Mythos 2: Fette und Öle sind generell nicht gesund
Falsch. Der Mensch benötigt zum Funktionieren Energie, die er durch die Nahrung aufnimmt. Die besteht aus Kohlehydraten, Proteinen und tierischen und pflanzlichen Fetten (Öl). In ihnen steckt diese Energie, die in der Einheit Kalorie gemessen wird.
Zwar hat ein Gramm Fett mit ungefähr zehn Kalorien doppelt so viel Energie wie ein Gramm Proteine oder Kohlehydrate. Aber: Der Körper benötigt laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bei normal anstrengender Arbeit etwa 35 Prozent des Tagesbedarfs an Kalorien aus Fetten, 55 Prozent aus Kohlenhydraten und 10 Prozent aus Proteinen.
„Fette sind wichtige Bausteine für die gesunde Ernährung“, betont Meißner. Beispielsweise seien die wichtigen Vitamine A, D, E und K nur in Fett löslich. „Ohne Fett rutschen diese Vitamine wirkungslos durch den Körper. Fette sind auch wichtige Ausgangsstoffe, mit denen unser Körper Botenstoffe herstellt.“
Mythos 3: Pflanzenöle wie Olivenöl, Rapsöl oder Leinöl sind gesünder als tierische Fette
In dieser Ausschließlichkeit stimmt die Aussage nicht. Richtig ist, dass pflanzliche Öle gut für die gesunde Ernährung sind. Kalt gepresstes natives Olivenöl etwa enthält viele Vitamine und die als gesund geltenden mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Das gilt auch für Leinöl und Rapsöl.
Sie sind gut für die Gesundheit, weil sie ein ausgewogenes Fettsäureprofil von entzündungshemmenden Omega-3- und entzündungsfördernden Omega-6-Fettsäuren vorweisen können. Sonnenblumenöl und Kokosöl etwa haben das nicht. Generell gilt für die gesunde Ernährung: Auch bei Ölen und Fett auf Abwechslung und Vielfalt setzen.
Wichtig ist es auch, ob wir mehr gesättigte oder ungesättigte Fettsäuren zu uns nehmen. Letztere gelten als gesünder. Warum? „Ungesättigte Fettsäuren tragen zum Beispiel zur Senkung des Cholesterinspiegels im Blut bei, während gesättigte Fettsäuren diesen erhöhen“, so Meißner.
Übrigens: Die Fettarten lassen sichdurch ihren physikalischen Zustand bei Raumtemperatur unterscheiden: gesättigte Fette wie Margarine, Backfette und Butter sind fest, ungesättigte flüssig. Produkte mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren sind zum Beispiel Olivenöl, Rapsöl und Leinöl sowie Nüsse, Eier und fetter Fisch.
Mythos 4: Omega-3-Fettsäuren sind Wundermittel für die Gesundheit
Vor einigen Jahren gab es einen Riesen-Hype um die Omega-3-Fettsäuren. Hersteller warfen etwa Fischöl und Kapseln, Käse oder Margarine mit zugesetztem Wunderfett auf den Markt. Ernährungsexperte Meißner dämpft da die Erwartungen etwas. Fest steht: „Omega-3-reiche Nahrungsmittel gehören nachgewiesenermaßen zu entzündungshemmenden Lebensmitteln. Zudem kann man eine vorbeugende Wirkung gegen demenzielle Erkrankungen beobachten“, so Meißner.
Aber: „Die Aufnahme über die Nahrung reicht. Die Forschung konnte bislang kaum einen Nutzen der Aufnahme zusätzlicher Omega-3-Fettsäuren feststellen“.
Omega-3-Fettsäuren sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die beispielsweise in fettem Kaltwasser-Fisch wie Hering, Makrele und Sardine oder in Lein- und Walnussöl vorkommen. Unser Körper benötigt eine Grundversorgung mit diesen Fettsäuren zur Produktion von Hormonen und um die Zellwände funktionsfähig zu halten, kann sie aber selbst nicht herstellen.
Mythos 5: Transfette, die etwa beim Braten entstehen, sind Killerfette
Das stimmt. Transfette oder richtiger trans-Fettsäuren entstehen beispielsweise beim industriellen Härten von Ölen, die für Margarine eingesetzt werden, aber auch beim Erhitzen. Sobald beim Braten der Rauchpunkt überschritten wird, qualmt es, und das Bratfett verbrennt – schädliche Transfette entstehen.
Diese finden sich auch zuhauf in Pizza, Croissants, Kartoffelchips, Pommes oder Panade, Soßen und Müsliriegeln. Unser Körper kann die Transfette nicht verarbeiten.
Dafür verkleben sie Nervenbahnen, Zellwände und die Wände der Blutgefäße. „In letzter Konsequenz kann der permanente Verzehr von Produkten mit diesen nutzlosen und gefährlichen Fettsäuren etwa zum Verschluss von Herzkranz- und Hirngefäßen führen“, so Ernährungsexperte Meißner. Das Risiko für Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall wachse.Transfette behindern auf Dauer auch das Hormon Insulin. Die Folge: das Diabetes-Risiko steigt.
Mythos 6: Alkohol hilft am besten, um Fett zu verdauen
Nach einem richtig fetten Essen wie Eisbein mit Sauerkraut wird der Mensch träge und schläfrig. Die Nahrung liegt schwer im Magen. Ein ordentlicher Schnaps hilft da, regt die Verdauung an? Falsch!
„Der Körper baut zuerst den Alkohol ab, nicht das Fett“, erklärt Meißner. Die Folge: Wir haben erfolgreich Zuwachs für unsere Fettpölsterchen geschaffen. Generell rät der Doktor, Alkohol nicht zum Essen zu trinken, sondern zwei Stunden später. Dann ist das Fett schon verdaut.
Mythos 7: Wer sich fett ernährt, wird schlank
In den 1970ern entwickelte der Amerikaner Robert Atkins seine nach ihm benannte Diät, die Atkins-Diät. Die Idee: Hauptsächlich Fette und Proteine essen, damit zwingen wir den Körper, seine Energiebilanz aus den eingelagerten Fettreserven auszugleichen. „Bei einigen wenigen Menschen funktioniert das“, räumt Carl Meißner ein. „Der Körper wandelt Fettzellen um, um so die fehlende Glukose zu ersetzen.“ Allerdings: Wer Kohlehydrate weglässt, riskiert etwa Nieren- oder Leberschäden. Der Arzt rät grundsätzlich von Diäten ab, weil sie immer eine unausgewogene Ernährung nach sich ziehen.
Mythos 8: Fett lässt sich gezielt abbauen
Schön wäre es ja, wenn man mit gezielten Übungen an besonders sensiblen Körperregionen das Fett abbauen könnte. Etwa am Bauch oder an den Beinen.
Leider ist das unmöglich, denn der Fettabbau ist ein ganzheitlicher Prozess; bei physischer Anstrengung holt sich der Körper die benötigte Energie dort, wo er sie findet, und nicht dort, wo man gern möchte. Wichtig für den Verlust von Fett ist es, mehr Energie zu verbrauchen als aufzunehmen. Für Büroarbeiter empfiehlt Meißner deshalb viel Bewegung – mindestens 10.000 Schritte am Tag.
Mythos 9: Man kann Fett wegschlafen
Klingt unwahrscheinlich, ist aber so. Muskeln bedienen sich bei ihrer Energieversorgung gerne bei den Fettreserven des Körpers. Vor allem in den Ruhephasen. „Wer abends auf zuckerhaltige Nahrungsmittel verzichtet, kann sich sicher sein, dass die Muskeln während des Schlafs ihren Bedarf an Energie aus unseren eingelagerten Fettreserven schöpfen“, weiß Ernährungsexperte Meißner.
Mythos 10: Wer einmal zu dick ist, ändert daran nichts mehr
Nicht aufgeben! Von heute auf morgen wird man nicht schlank. Fett ansetzen geht schneller, als es loszuwerden. Um gesund zu werden oder zu bleiben, helfen am besten eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung und viel Bewegung.
„Frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Öl und Fett in Maßen“, rät Carl Meißner, der die mediterrane Küche besonders schätzt, „so weit als möglich auf Zucker und industriell verarbeitete Lebensmittel verzichten – dann ist man auf der sicheren Seite.“
Eine gute Grundlage, was zu tun ist, seien die zehn Regeln der deutschen Gesellschaft für Ernährung, formuliert auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse.