Berlin. Die Bundesregierung gibt Gas beim Wasserstoff. 9 Milliarden Euro will die Große Koalition in den Aufbau einer Industrie für das Gas investieren. So steht es in ihrem kürzlich beschlossenen Konjunkturpaket. Das Ziel: Deutschland soll bei dieser Zukunftstechnologie die „Nummer eins in der Welt“ werden. Die Details des Konzepts gibt die Nationale Wasserstoffstrategie vor.
„Das ist eine bahnbrechende Entscheidung“, sagt Professor Robert Schlögl, Wasserstoffexperte und Direktor am Berliner Fritz-Haber-Institut und am CEC-Institut in Mülheim. „Nur Kraftwerke gegen Windräder und Solaranlagen tauschen, Benziner und Diesel durch E-Autos ersetzen – das allein reicht nicht für die Energiewende. Wenn wir Land und Wirtschaft klimaneutral machen wollen, brauchen wir einen Energieträger, der Erdöl, Kohle und Gas ersetzen kann. Und das ist der Wasserstoff.“
Das Gas nutzt man schon heute in der Chemie-Industrie, Stahlunternehmen werden es zukünftig verstärkt benötigen. Mit Wasserstoff kann man Lkws, Busse, Züge antreiben und daraus Treibstoff für Schiffe und Flieger herstellen. Und über das Gas lässt sich Energie speichern, transportieren sowie über Pipelines im Land verteilen.
Ohne Wasserstoff wird die Energiewende also nicht gehen. Die Bundesregierung setzt dabei auf sogenannten „grünen Wasserstoff“. Der wird per Elektrolyse mit Ökostrom erzeugt. Wie man das vom Chemieunterricht in der Schule kennt, zersetzt der Strom in Elektrolyse-Anlagen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Dazu will die Regierung bis 2030 Kapazitäten mit bis zu fünf Gigawatt Leistung hochziehen, weitere fünf Gigawatt sollen möglichst bis 2035 folgen.
Doch wie ambitioniert ist der Plan? Frank Klose, Energieexperte der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), hat errechnet: „Mit der Kapazität könnte man bei hoher Auslastung der Anlagen von 6.000 Stunden im Jahr ein Drittel der deutschen Trucks auf Wasserstoff umstellen. Oder man könnte 40 Prozent des Stahls klimagasfrei herstellen.“
90 Prozent der Primärenergie muss noch auf Erneuerbare umgestellt werden
Ganz konkret: 600.000 Tonnen Wasserstoff ließen sich so pro Jahr erzeugen. Oder 20 Milliarden Kilowattstunden des Energieträgers, wie die Experten bevorzugt rechnen. Aber 2030 benötigt die Republik laut Regierungsplan die fünffache Menge. Und auch das ist nur ein Teil der „gigantischen Herausforderung“, wie Experte Schlögl klarmacht: „Deutschland verbraucht aktuell 3.500 Milliarden Kilowattstunden Primärenergie aus Öl, Kohle und Gas im Jahr, 90 Prozent davon müssen wir noch auf erneuerbare Quellen umstellen.“
Angesichts dessen fallen die Reaktionen von Instituten und Verbänden auf die Wasserstoffstrategie verhalten aus. Der Energieexperte Thilo Schaefer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sagt: „Das ist ein guter Start für Deutschland, doch aus europäischer Sicht zu zaghaft.“ Für das Ziel der EU, bis 2050 netto kein Klimagas mehr auszustoßen, sei das zu wenig. Auch der Industrieverband BDI in Berlin fordert mehr: Wasserstoff gehöre „ganz oben auf die Agenda“, wenn Deutschland im zweiten Halbjahr in der EU die Ratspräsidentschaft übernimmt. Es brauche große europäische Erzeugungsanlagen, den Aufbau einer Transportinfrastruktur sowie eine Importstrategie.
Deutschland wird enorme Mengen Wasserstoff importieren müssen
Denn auch das ist klar: Deutschland und Europa werden nie so viel grünen Wasserstoff erzeugen können, wie sie benötigen. Enorme Mengen müssen in sonnenreichen Staaten hergestellt und von dort importiert werden – wie bisher Erdöl und Gas. Dafür will Berlin 2 Milliarden Euro in Partnerschaften mit Lieferländern investieren; eine erste wurde jetzt mit Marokko vereinbart.
Möglich wäre noch ein anderer Weg. In der Industrie wird Wasserstoff bisher hauptsächlich durch Aufspalten von Erdgas in Hitze („Dampfreformierung“) erzeugt, wobei viel Kohlendioxid freigesetzt wird. Speichert man das CO2 unterirdisch, wäre der Wasserstoff klimaneutral. Man nennt ihn dann „blauen Wasserstoff“. Norwegen will das machen. Einige Experten plädieren hier für Technologieoffenheit. Umweltschützer dagegen sehen diese Technik kritisch.
Die neue Technologie bringt 470.000 zusätzliche Jobs
Berlin zieht derzeit den grünen Wasserstoff und die Elektrolyse-Technik vor. Da mischen Firmen wie Siemens, Thyssenkrupp, H-Tec-Systems in Augsburg oder Sunfire in Dresden vorne mit.
Bisher gibt es etwa 50 Anlagen, meist nur mit wenigen Megawatt Leistung. Aber alle vier bis fünf Jahre nimmt die Leistung um den Faktor zehn zu. Sind heute 10 Megawatt das Maximum, peilen Siemens-Ingenieure für nach 2023 schon 100-Megawatt-Anlagen an. Das ist wichtig. Noch ist der grüne Wasserstoff teurer als der herkömmlich erzeugte. Den bekommt man für 2 bis 3 Euro je Kilogramm, für den Ökowasserstoff muss man zum Teil das Doppelte hinlegen, so BCG-Experte Klose. Größere Anlagen und preiswerterer Strom werden ihn billiger machen. 2030 sei grüner Wasserstoff wettbewerbsfähig. Dafür will die Bundesregierung den Wasserstoffstrom von der Ökostrom-Umlage befreien.
Auch am anderen Ende der Wasserstoffkette, der Brennstoffzelle zur Stromerzeugung, sind deutsche Unternehmen dabei, Bosch und Freudenberg zum Beispiel. Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass sich Deutschland ein ordentliches Stück vom künftigen Technik-Weltmarkt für Wasserstoff und synthetische Treibstoffe holt. Der wird bis 2050 auf durchschnittlich 215 Milliarden Euro im Jahr wachsen, prognostiziert eine Studie vom IW und der Beratungsfirma Frontier Economics. Das könnte der deutschen Wirtschaft zusätzlich 470.000 Arbeitsplätze bescheren. Wasserstoff bringt also auch Jobs.