Köln/Bielefeld. Frauen können nicht Auto fahren, die Menschen in Deutschland werden immer ärmer oder die ganze Welt wird von geheimen Organisationen gesteuert – Vorurteile, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien bilden sich immer wieder und verfestigen sich in der Gesellschaft. Doch wie kommen sie zustande? aktiv sprach darüber mit Jonas Rees, promovierter Sozialpsychologe am Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld.
Warum neigen wir zu Vorurteilen?
Wir alle sind für Vorurteile empfänglich. In erster Linie erleichtern sie uns das Leben. Wir teilen Menschen in Kategorien ein – das klassische Schubladendenken eben. Aber natürlich sind Vorurteile oft ganz einfach falsch. Ein Beispiel ist: „Mädchen sind schlecht in Mathe.“ Jeder erinnert sich aus seiner Schulzeit an ein Mädchen, das schlecht in Mathe war. Aber die anderen zehn Mädchen, die gut waren, werden vergessen.
Was geht da in unserem Kopf vor?
Wir haben ein ganz bestimmtes Bild vor Augen und erinnern uns besser an Situationen, die genau in dieses Bild passen. Gegen Widerlegungen sind wir da erst mal immun, solange unser Vorurteil nicht durch persönliche Erfahrung entkräftet wird. Vorurteile können aber auch Einfluss auf das Selbstwertgefühl haben.
Inwiefern?
Einen Teil unseres Selbstwerts ziehen wir daraus, dass wir uns mit anderen vergleichen. Je positiver der Vergleich für uns insgesamt ausfällt, desto besser fühlen wir uns. Das fängt beim Arbeitsalltag an: Der Kollege, den man vielleicht nicht so gut kennt, wird in seiner Kompetenz erst mal abgewertet, ohne dass wir wissen, was er überhaupt macht. Je weniger wir wissen, desto mehr füllen wir unsere Annahmen mit Vorurteilen auf.
Welche Wege führen denn aus so einem Denkmuster heraus?
Eine Möglichkeit wäre, diese ausgedachten Annahmen mit persönlichen Erfahrungen zu ersetzen. Das geht, indem man sich mit dem Kollegen über seine Aufgaben austauscht. Umdenken hilft. Weg von „Der Typ aus der anderen Abteilung“ hin zu „Der Kollege aus meinem Betrieb“. Der Zeitpunkt, an dem Menschen beginnen, sich als eine Gruppe zu begreifen, ist häufig der Moment, in dem Vorurteile abnehmen.
Annahmen, die über Vorurteile weit hinausgehen, sind Verschwörungstheorien. Wieso glauben manche Menschen überhaupt daran?
Zunächst mal sind Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, der Meinung, über eine Art exklusives Wissen zu verfügen. Das macht sie zu etwas Besonderem, weil sie etwas wissen, was die meisten anderen nicht wissen.
Und wie kommen sie auf ihre Ideen?
Verschwörungstheoretiker erkennen Muster und Zusammenhänge, wo die meisten anderen Menschen sie nicht sehen. Verschwörungstheorien scheinen die Welt oft komplizierter zu machen, als sie ist. Gleichzeitig vereinfachen sie die Welt aber auch, weil sie alle Fakten ausblenden, die nicht zur Verschwörungstheorie passen. Auf diese Weise wird die Theorie dann unwiderlegbar, weil jeder Versuch der Widerlegung zum Teil der Verschwörung erklärt wird.
Aktuell zeichnen Menschen ein düsteres Weltbild, troz niedriger Arbeitslosigkeit, hoher Lebenserwartung und wachsendem Wohlstand in Deutschland und der Welt. Warum?
Dass es uns noch nie so gut ging, belegen ja viele Statistiken. Aber wenn jemand persönlich betroffen ist, zum Beispiel schwer krank oder arbeitslos ist oder Opfer eines Verbrechens wurde, dann hilft ihm oder ihr die allgemeine Statistik nicht. Und so kommt es, dass einzelne schwerwiegende Ereignisse manchmal den Eindruck erwecken und aufrechterhalten, früher wäre alles besser gewesen.
Wie kommen denn pessimistische Annahmen überhaupt zustande?
Wir sind heute so vernetzt wie nie. Wir bekommen mehr mit als früher, und darum fühlt es sich für uns so an, als würde auch tatsächlich mehr Schlimmes in der Welt passieren. Negative Ereignisse, die vielleicht am anderen Ende der Welt geschehen, erscheinen uns näher. Positive Dinge, die direkt bei uns vor der Haustür passieren, bekommen wir hingegen oft gar nicht mit. Psychologisch nehmen bestimmte Ereignisse und Entwicklungen in unserem Alltag also auch mehr Platz ein …
… und werden dann auch über die sozialen Netzwerke verbreitet, Filterblasen entstehen.
Das ist das Gefährliche. Hinzu kommt, dass sich jeder selbst zu irgendeinem Experten ernennen, eine entsprechende Community aufbauen und so eigene gefühlte Wahrheiten in die Gesellschaft tragen kann.
Wie können wir uns denn davor schützen, falsche Informationen für bare Münze zu nehmen?
Wichtig ist vor allem, genau zu schauen, wo die Information herkommt. Wer ist die Quelle? Wer ist der Absender?
Gibt es Menschen, die eher zu Vorurteilen neigen als andere?
Wir wissen aus der Forschung, dass Menschen besonders viele Vorurteile gegen bestimmte Gruppen haben, mit denen sie besonders wenig Kontakt haben. In Regionen, wo die Ausländerquote gering ist, haben Menschen mehr Vorurteile gegenüber Ausländern. Da sind wir wieder beim Thema Abwertung. Ganze Gruppen werden systematisch abgewertet, weil dort Lücken in der eigenen Erfahrung mit Vorurteilen aufgefüllt werden. Das macht das Thema zum Problem für unsere Gesellschaft.