Gießen. Die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) ist Hessens größte Hochschule für angewandte Wissenschaften, mit fast 18.000 Studierenden. Mit Professor Matthias Willems, dem Präsidenten der TH, sprach aktiv über digitale Technologien in Lehre und Forschung und die durch Corona hervorgerufenen Veränderungen in der Hochschullandschaft.

Wie waren die letzten Wochen?

Anstrengend. Das war und ist eine sehr besondere Zeit, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Eine Hochschule wie die THM lebt von den vielen, vor allem jungen Menschen, die dort ein und aus gehen. Dass das so viele Wochen nicht möglich war, tut mir schon weh. Bereits Anfang März haben wir Veranstaltungen, Vorlesungen, Reisen und sogar Prüfungen abgesagt oder verschoben, wo es ging Homeoffice ermöglicht und vieles mehr. Auch der Laborbetrieb, Herz der Hochschule, musste eingeschränkt werden. Parallel dazu arbeiteten wir intensiv an digitalen Lösungen, haben beispielsweise Lehrmaterial online gestellt und auch mündliche Prüfungen per Video-Chat durchgeführt. Das Sommersemester startete verspätet am 20. April, aber die Lehrveranstaltungen werden als Folge der Coronakrise zunächst nur digital angeboten. So schlimm die Auswirkungen von Corona in jeder Beziehung sind, man kann diese Krise auch als Riesen-Chance verstehen.

Inwiefern sehen Sie hier eine Riesen-Chance?

Wenn Nähe für Menschen mit mehr Risiken verbunden ist, muss man auf Abstand gehen und auf Alternativen setzen. Und die bietet die Digitalisierung, zum Beispiel durch Industrie 4.0, durch Fernwartungssysteme, Roboter in Labor und Fertigung sowie künstliche Intelligenz. Zudem kann man aktuell gut feststellen, wo dringend nachgebessert werden muss, nämlich zum Beispiel bei der Netz-Infrastruktur. Aktuell haben eben nicht alle Privathaushalte und damit Familien, Schüler und Studenten Zugang zu schnellem Internet. Das muss sich dringend ändern. Viele Vorlesungen konnte man bei uns schon vor Corona zu Hause am Laptop verfolgen, aber eben nur, wenn man auch einen entsprechenden Internetzugang hat.

Wie geht es weiter mit den vielen Forschungsprojekten?

Unsere Arbeit geht sozusagen hinter den Kulissen weiter. Die Projekte werden soweit möglich vorangetrieben von den Mitarbeitern der Hochschule, auch wenn viele im Homeoffice sind. Der Laborbetrieb läuft zwar eingeschränkt, aber dank des großen Engagements aller wirklich gut. Und die Studenten, die hier zum Beispiel im Rahmen ihrer Bachelor- oder Masterarbeit eingebunden sind, bleiben übers Internet und inzwischen auch wieder über Besuche hier vor Ort an ihren Projekten dran. Vieles läuft ja in enger Kooperation mit Unternehmen vor allem hier in der Region.

Wie eng ist Ihr Kontakt zur Industrie?

80, vielleicht sogar 90 Prozent der Akademiker in den Firmen hier in Mittelhessen kommen von der THM. Sie halten Kontakt und lassen sich von uns helfen beim Lösen komplexer Aufgaben in ihrer betrieblichen Praxis, da wir mit über 80 Bachelor- und Masterstudiengängen ein großes Spektrum abdecken. Unser Studium-Plus in Wetzlar ist der größte Anbieter dualer Studiengänge in Hessen. Allein dabei kooperieren wir mit über 900 Unternehmen. Die enge Verbundenheit, die sich so über Jahrzehnte ergeben hat, ist unsere Stärke.

Wollen Sie die Zusammenarbeit mit der Industrie weiter verstärken?

Ja, deshalb haben wir im September 2019 einen Kooperationsvertrag mit Hessenmetall unterzeichnet, dem Arbeitgeberverband für die Metall- und Elektro-Industrie in Hessen. Gemeinsam wollen wir den Wissenstransfer von der THM in die regionale Wirtschaft vorantreiben, gerade beim Zukunftsthema Digitalisierung. Es geht vor allem um den engeren Austausch in den Bereichen Forschung, Recruiting und Weiterbildung.

Hätten Sie zum Schluss noch einen Wunsch an eine gute Fee?

Aktuell kann das nur der Wunsch nach einem Impfstoff gegen Corona sein. Ansonsten bin ich zufrieden und bleibe Optimist.

Zur Person

Ist auch in der Krise Optimist: Professor Matthias Willems, Präsident der Technischen Hochschule Mittelhessen.
Professor Dr. Matthias Willems Bild: Schürmann, TH Mittelhessen
  • Geboren 1963 in Bad Kreuznach, verheiratet, zwei Kinder
  • Informatik-Studium in Heidelberg und Heilbronn, Studienaufenthalte in USA und Großbritannien, MBA-Abschluss in Paris
  • 1991 Promotion in medizinischer Informatik an der Universität Ulm
  • Verschiedene Tätigkeiten in der Industrie, unter anderem Berater im Bereich IT
  • Seit 2003 Professor an der FH Gießen-Friedberg (heute THM)
  • Seit 2016 Präsident der TH Mittelhessen
Maja Becker-Mohr
Autorin

Maja Becker-Mohr ist für aktiv in den Unternehmen der hessischen Metall-, Elektro- und IT-Industrie sowie der papier- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterwegs. Die Diplom-Meteorologin entdeckte ihr Herz für Wirtschaftsthemen als Redakteurin bei den VDI-Nachrichten in Düsseldorf, was sich bei ihr als Kommunikationschefin beim Arbeitgeberverband Hessenchemie noch vertiefte. In der Freizeit streift sie am liebsten durch Wald, Feld und Flur.

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