München. Der Durchbruch kommt in den Morgenstunden des 16. Februar. Kurz nach 5 Uhr früh steht am Verhandlungsort in München fest: Es gibt ein Ergebnis in den Tarifverhandlungen für die 100.000 Beschäftigten der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie.

In diesem Jahr erhalten sie, einschließlich der Auszubildenden, einmalig eine „Corona-Beihilfe“ von 325 Euro, die spätestens im Juni gezahlt werden soll. Für das kommende Jahr haben sich die Tarifparteien dann auf eine zweistufige Entgelterhöhung geeinigt: 1,3 Prozent ab Februar 2022 und nochmals 1,4 Prozent ab Oktober. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 25 Monaten. 

Verhandelten die Nacht durch: Markus Simon (rechts), der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, und Manfred Menning, der Vertreter der IG Metall.

Planungssicherheit und Perspektiven für Unternehmen

„Mitten in der Krise ist dies ein Abschluss der Vernunft und der Perspektive“, lobt Markus Simon, Verhandlungsführer der Arbeitgeber und Geschäftsführer des Textilunternehmens Verseidag-Indutex in Krefeld.

Das Ergebnis gibt den Unternehmen Zeit, um sich wirtschaftlich zu erholen. „Der Abschluss trägt den wirtschaftlichen Prognosen Rechnung und bringt Planungssicherheit für die nächsten 25 Monate“, erklärt Simon. 

Gerade darauf sind die 1.400 Unternehmen der Branche dringend angewiesen. Denn laut einer Umfrage des Branchenverbands Textil + Mode in Berlin gehen mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen davon aus, dass sie zwischen 18 Monate und fünf Jahre brauchen werden, um die Krise zu überwinden. „Viele von uns bangen um ihre Existenz“, beschreibt Verhandlungsführer Simon die Lage.

Die Corona-Pandemie hat dramatische Spuren in den Bilanzen der Betriebe hinterlassen. Im gesamten vergangenen Jahr musste der Textilsektor ihretwegen einen Produktionsrückgang von mehr als 8 Prozent gegenüber 2019 hinnehmen. Und im Bekleidungssektor schrumpfte die Produktion sogar um ein Fünftel. Mancher Bekleidungshersteller musste Umsatzeinbrüche von bis zu 45 Prozent verkraften.

Auch der jetzige Abschluss ist für viele ein Kraftakt

Insgesamt machten die Unternehmen 2020 gut 11 Prozent weniger Umsatz – und da ist der aktuelle Lockdown, der seit Mitte Dezember gilt und noch anhält, nur zu einem ganz geringen Teil berücksichtigt.

Die Rücklagen vieler mittelständischer Unternehmen seien aufgebraucht. Deshalb sei für viele auch der jetzt ausgehandelte Tarifabschluss ein Kraftakt, gibt Verhandlungsführer Simon zu: „Am Ende hat sich aber die Einsicht durchgesetzt, dass wir den Weg aus der Krise nur gemeinsam schaffen können.“

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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