Berlin. Erst kam Corona. Die deutsche Politik reagierte mit „Wumms“ – so Olaf Scholz, damals noch Finanzminister: Ein 130 Milliarden Euro schweres Maßnahmenbündel sollte helfen, die Pandemie durchzustehen. Weitere Entlastungspakete folgten. Dann überfiel Russland die Ukraine: „Zeitenwende“, konstatierte Scholz, der inzwischen Bundeskanzler geworden war. Eine Folge: 100 Milliarden Euro extra für die Bundeswehr. Als schließlich die Energiepreise explodierten, konterte die Regierung laut Scholz per „Doppelwumms“: Nochmal 200 Milliarden Euro, vor allem für einen Abwehrschirm gegen die hohen Gas- und Stromkosten etwa durch die Gaspreisbremse.

Dazu muss man wissen, dass der gesamte Bundeshaushalt 2019 „nur“ rund 360 Milliarden Euro schwer war. Die in nur zweieinhalb Jahren angehäuften Extraposten haben also tatsächlich ein immenses Volumen. Und das in Zeiten steigender Zinsen: Jeder Euro, den der Staat an Schulden aufnimmt, kommt uns deutlich teurer als vor ein paar Jahren.

Die gesamtstaatliche Schuldenquote Deutschlands ist und bleibt niedriger als 2010

Was aber heißt das alles unter dem Strich? Übernimmt sich der Sozialstaat Deutschland gerade?!

Jein. „Tatsächlich steigen die Staatsschulden seit 2020 sehr stark an“, erklärt Tobias Hentze, Experte fürs Thema am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Im Vergleich zu vielen anderen Ländern stehen wir aber immer noch ganz gut da. Und unsere Schuldenstandsquote wird nicht so dramatisch steigen.“

Diese Quote setzt die Miesen ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Deutschlands bisher schlechtester Wert – fast 82 Prozent – stammt aus dem Jahr 2010: Auch die Finanzkrise hatte teure Hilfsmaßnahmen nötig gemacht. Danach sank die Schuldenquote dank Wirtschaftswachstum und „schwarzer Null“ im Haushalt bis auf 59 Prozent anno 2019. Und auch nach dem aktuellen Schuldenzuwachs dürfte Deutschland Schätzungen zufolge unter 70 Prozent bleiben.

Deutschlands Staatsschulden in Euro und Cent sind seit 2020 wieder stark gestiegen

Die Schuldenquote dürfte damit also zum Glück nicht so dramatisch steigen, wie es die enorme Zunahme der nominalen Schulden seit 2020 vermuten ließe. Die Entwicklung von Deutschlands gesamtstaatlichem Schuldenstand seit 2005 zeigt unsere Grafik: Man erkennt da sofort den starken Anstieg wegen der Finanzkrise – den langen Erholungsprozess danach – und dann das extreme Draufsatteln seit Beginn der Corona-Pandemie.

Geldschwemme – seit bald drei Jahren: Mit Hunderten Milliarden Euro kämpft Deutschland gegen die Krisen.

Sogar die Schuldenbremse soll künftig wieder eingehalten werden, formal jedenfalls. Sie war für die Jahre 2020 bis 2022 ausgesetzt worden: Laut Grundgesetz ist das in „außergewöhnlichen Notsituationen“ erlaubt. 2023 soll sich der Bundeshaushalt wieder im normalen Rahmen bewegen.

Was allerdings nur deswegen klappt, weil Zig-Milliarden Euro über neue „Sondervermögen“ finanziert werden – das sind aber nicht etwa positive Posten, sondern letztlich separat verbuchte Schulden. „Es gibt eine halbe Billion Euro in Extra-Töpfen jenseits des regulären Haushalts“, sagt Hentze, „so etwas hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben.“ Der Bundesrechnungshof hat der Regierung denn auch kürzlich vorgeworfen, sie würde die finanzielle Lage verschleiern.

Es dürfte jedenfalls nicht so einfach werden, aus den Schulden wieder „herauszuwachsen“, wie es von 2011 bis 2019 gelungen ist. Denn die deutsche Bevölkerung altert – und wird damit teurer. Wenn wieder normalere Zeiten herrschen, wird die Politik wohl den Rotstift ansetzen müssen. IW-Experte Hentze sagt es so: „Der politische Kampf um die Verteilung des Steuergelds wird viel härter werden.“

Thomas Hofinger
Chef vom Dienst aktiv

Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.

Alle Beiträge des Autors