Im Internet poltern leider viele einfach munter drauflos. Per Tastatur traut man sich, Dinge zu posten, die man live und in Farbe wohl nie einem anderen Menschen an den Kopf werfen würde. Darf man in der virtuellen Welt womöglich ungestraft hetzen? „Natürlich nicht“, sagt Christian Solmecke, Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WBS. Man riskiere teure Strafen. Und, wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) deutlich macht, womöglich den Job.

Private Chatgruppe ist nicht per se geschützt

In einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. August 2023 (Aktenzeichen: 2 AZR 17/23) wurde entschieden, dass sogar Äußerungen in privaten Chatgruppen wie Whatsapp oder ähnlichen Messangern über Vorgesetzte „in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise“ einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen können. „Ein besonderer Vertrauensschutz besteht bei Äußerungen in Chatgruppen nämlich nicht unbedingt“, sagt Moritz Mößner, Experte für Arbeitsrecht und Tarifpolitik bei der BDA: „Dieser Schutz richtet sich vor allem nach dem Inhalt der Nachrichten und der Größe sowie personellen Zusammensetzung der Gruppe. Dabei muss der Arbeitnehmer gerade bei menschenverachtenden Beleidigungen (wie im vorliegenden Fall) darlegen, wieso er berechtigt darauf vertrauen durfte, dass die Nachrichten in der Chatgruppe nicht nach außen dringen.“

Bei Nachrichten in einem kleinen Familienchat ohne betrieblichen Zusammenhang wäre das wohl einfacher zu begründen gewesen als bei einer Gruppe von Arbeitskollegen, zumal in diesem Falle die Zusammensetzung der Gruppe wechselte. Alles hängt tatsächlich von den Umständen ab. Denn das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen: 21 Sa 1291/20) entschied am 19.07.2021 in einem anderen Fall, in dem sich der technische Leiter einer Flüchtlingseinrichtung in einem privaten Chat mit zwei weiteren Mitarbeitern rassistisch über Geflüchtete äußerte, etwas anders. Der private Chat war zwar im Prozess verwendbar, da dem Arbeitgeber die Informationen von außen zugetragen wurden und der Chat einen Arbeitsbezug aufwies. „Die Nachrichten begründeten allerdings keine verhaltensbedingte Kündigung, da der Kläger anhand der Umstände dieses Falles davon habe ausgehen dürfen, dass der Inhalt des Chats nicht nach außen gelangt.“ 

Ausnahme: Vertrauliche Gespräche

„Auch außerhalb des Internets kann eine Beleidigung des Arbeitgebers oder von Kollegen, wie etwa durch das Zeigen des Mittelfingers, einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen“, sagt Moritz Mößner (so das LAG Rheinland-Pfalz, im Urteil vom 18. August 2022, Aktenzeichen: 5 Sa 458/21). Davon ausgenommen seien aber beleidigende Äußerungen in einem vertraulichen Gespräch, etwa mit einem Kollegen über den Arbeitgeber (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. September 2009, Aktenzeichen: 1 Sa 230/09). Für Beleidigungen online gelte also im Wesentlichen das Gleiche wie für eine direkte Beleidigung. Es kommt aber auch auf die Größe des „Publikums“ an.

Für Beleidigungen drohen Strafe und zusätzlich Schmerzensgeld

„Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“, betont auch Rechtsanwalt Christian Solmecke, „die Straftatbestände gelten hier genauso wie im ‚richtigen Leben‘. Außerhalb geschlossener Chaträume werden sie, wenn sie in einem Internetforum oder in den sozialen Medien begangen wurden, mittlerweile sogar härter bestraft als beispielsweise eine Beleidigung auf der Straße“, sagt Solmecke.

Dazu sollte man wissen: Wird die persönliche Ehre missachtet und verletzt, ist das eine Beleidigung. „Konsequenz laut Strafgesetzbuch, wenn ‚nur‘ auf der Straße beleidigt wurde: Geldstrafe oder bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe. Doch wenn das Ganze im Internet stattgefunden hat, drohen sogar Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren“, sagt Solmecke. „Üble Nachrede – eine herabwürdigende Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt nicht nachweisbar ist – kann ebenfalls mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden, wenn sie im Internet begangen wurde.“ Eine Verleumdung im Netz, bei der ganz offensichtlich ist, dass die Behauptung falsch ist, kann theoretisch sogar bis zu fünf Jahre Haft einbringen.

Kein Bußgeld-Katalog vorhanden

Es gibt allerdings keinen „Bußgeld-Katalog“ für Bosheiten im Web. „Und nicht jede Ausfälligkeit ist gleich eine Beleidigung – es kommt immer auch auf den Kontext an“, erklärt Christian Solmecke. „Aber wenn etwas beleidigend ist, muss man noch zwischen strafrechtlichen Strafen und zivilrechtlichen Schmerzensgeldansprüchen unterscheiden. Geldstrafen richten sich zum einen nach der Schwere der Beleidigung, zum anderen nach dem Verdienst des Täters.“

Und: „Je nach Einkommen des Täters kann die Geldstrafe für die gleiche Beleidigung gering ausfallen oder mehrere Tausend Euro betragen“, sagt Mößner von der BDA. „Zivilrechtlich kann eine Beleidigung zu einem Anspruch auf Schadenersatz führen. Die Höhe richtet sich danach, wie schwerwiegend der Schaden ist. In Fällen einer öffentlichen Beleidigung mit großer Reichweite, die im Internet leicht zu erreichen ist, kann ein Schadenersatzanspruch besonders hoch ausfallen.“ In einem Urteil vom Landesgericht (LG) Hamburg vom 17. April 2020 (Aktenzeichen: 324 S 3/19) wurde dem Kläger, der auf Facebook beleidigt wurde, eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zugesprochen. In einem anderen Fall, in dem eine Influencerin online einen Ladenangestellten beleidigte, legte das LG Düsseldorf am 17. April 2019 sogar eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro (Aktenzeichen: 12 O 168/18) fest.

Wo sind die Grenzen zur Flapsigkeit?

Das ist tatsächlich schwierig und nicht so eindeutig. Augenscheinlich beleidigende Äußerungen können vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein. So wurde etwa die Bezeichnung einer Politikerin als „dämliches Stück Hirn-Vakuum“ nicht als Beleidigung, sondern als Teil der freien Meinungsäußerung angesehen (LG Heilbronn, Urteil vom 22. März 2023, Aktenzeichen: Ko 8 O 85/22). „In dem Fall wurde auch darauf abgestellt, dass sich die Klägerin in ihrem vorhergehenden Post selbst abfällig gegenüber einer dritten Person äußerte. Somit habe sie selbst den Ton gesetzt“, erläutert BDA-Experte Mößner. „Insgesamt ist die Abgrenzung sehr fallbezogen. Relevant sind dabei unter anderem die ehrverletzende Intention sowie der Meinungs- oder Wahrheitsgehalt hinter der Aussage und wohl auch die öffentliche Stellung des Empfängers. Bei reinen Unhöflichkeiten muss hingegen nicht mit derartigen Konsequenzen gerechnet werden.“

Was droht Kindern, die im Netz ausfällig werden?

Kinder sind erst ab 14 Jahren strafmündig – aber schon ab 7 Jahren können sie für Schäden anderen gegenüber verantwortlich sein (es kommt dabei auf den Entwicklungsstand des Kindes an). Zivilrechtlich, also auf Schadenersatz, können die Kinder oder die Eltern verklagt werden. „Das Kind muss dafür aber bereits über die entsprechende Einsichtsfähigkeit verfügen. Die Eltern müssen allerdings nur dann haften, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben“, sagt Mößner. „Diese richtet sich nach den bestimmten Umständen wie etwa dem Alter oder Charakter des Kindes. Eine Dauerüberwachung kann jedenfalls nicht erwartet werden.“ Generell sollte man auch dem Nachwuchs möglichst früh klarmachen, dass Pöbeln im Web teure Folgen haben kann.

Marie Schäfers
Autorin

Marie Schäfers hat ihren Studienabschluss in Geschichte und Journalistik an der Universität Gießen gemacht. Sie volontierte bei der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund und ist Leitende Redakteurin der Zeitung Sonntag-EXPRESS in Köln. Für aktiv beschäftigt sie sich als freie Autorin mit den Themen Verbraucher, Geld und Job.

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