Erlangen. Kreischende E-Gitarren, schrille Flöten, tobendes Publikum – Jörg Roth lebt in einer lauten Welt. Die für den Frontmann der populären Mittelalter-Rockband „Saltatio Mortis“ in den letzten Jahren jedoch zunehmend leiser wurde. „Nach einem Herz-Kreislauf-Problem wurden meine Ohren immer schlechter“, bekennt Roth. So viel schlechter, dass der Berufsmusiker sogar um seine Karriere bangte. Bis ihm ein Arzt den rettenden Ausweg wies: ein Hörgerät! Roth: „Jetzt hat jeder Ton endlich wieder eine Magie.“

Probleme mit den Ohren – das ist längst eine Volkskrankheit. Laut Bundesverband der Hörsysteme-Industrie halten mehr als zehn Millionen Deutsche ihr Hörvermögen für gemindert. Sechs Millionen haben die Diagnose „schwerhörig“ sogar schwarz auf weiß vom Arzt. Doch nur 3,7 Millionen tragen auch ein Hörgerät. Da fragt man sich doch: Wieso ist das so?

Unbehandelte Hörminderung erhöht das Demenzrisiko

„Ein Grund ist das Image von Hörgeräten, auch wenn das längst nicht mehr zutrifft“, sagt Beate Gromke, Präsidentin der Europäischen Union der Hörgeräteakustiker (EUHA). Und: „Als Betroffener muss man sich zudem erst einmal eingestehen, dass man nicht mehr richtig hört“, so Gromke zu aktiv. Das sei ein ziemlich großer, oft schwerer Schritt.

Aber ein immens wichtiger. Denn: Bleibt eine Hörminderung unbehandelt, sind die Folgen übel. „Wer auf einer Geburtstagsfeier den Gesprächen nicht mehr folgen kann, der geht zu nächsten Party nicht mehr hin“, sagt Gromke. Die daraus resultierende soziale Isolation führe zu Stress, der wiederum zu sinkender Lebensqualität, häufig gar zu Depressionen. Die Leistungen im Beruf sinken. Und sogar das Demenzrisiko steigt nachweislich an!

Exklusive Infos, die nur Träger von Hörgeräten empfangen können

Alles zusammengenommen, ist das nicht nur für die Betroffenen bitter. Sondern auch volkswirtschaftlich extrem teuer: Die ökonomischen Kosten unversorgter Hörminderungen beziffert der Bundesverband der Hörsysteme-Industrie unter Berufung auf eine Studie der WHO auf 39 Milliarden Euro. Pro Jahr!

Dabei sind die Zeiten der klobigen, beigen Hörgurken hinterm Ohr lange vorbei. „Eigentlich hat man längst einen smarten, digitalen Alltagsassistenten im oder hinter dem Ohr“, sagt EUHA-Präsidentin Gromke.

Hersteller wie Signia aus Erlangen, Nachfolgeunternehmen der früheren Siemens-Hörgerätesparte, setzen heute auf frisches Image – und geballteste Technik im Miniaturformat. „Audiologie, Sensorik und Konnektivität, das sind die drei innovativen Kernfelder unserer Branche“, sagt Sascha Haag, Leiter Audiologie bei Signia.

Bluetooth im Hörgerät ist heute Standard

Mehrkernprozessoren, die sich in Echtzeit auf verschiedenste akustische Szenarien vom Waldspaziergang bis zur lauten Kneipe automatisch einstellen. Sensoren, die Körperfunktionen erfassen oder die Mikrofone des Hörgeräts an die Bewegung des Trägers anpassen. Und energieeffiziente Technik, die die Geräte locker über den Tag bringt – „all das macht moderne Hörsysteme von heute aus“. Auch Bluetooth-Verbindungen zum Smartphone oder TV-Gerät sind längst selbstverständlich!

Überhaupt sei Konnektivität „das nächste große Ding“, verrät Haag. So soll der neue, extrem stromsparende Bluetooth-Standard „LE Audio“ das Hörgerät endgültig zur Informationszentrale im eigenen Ohr machen. „Dann ist beispielsweise der Empfang exklusiver Infos möglich, die nur von Hörgeräteträgern aufgenommen werden können.“ Hörhilfen als coole Lifestyle-Gadgets – das scheint möglich. „Irgendwann sind dann vielleicht sogar die Tage des Smartphones gezählt“, glaubt Haag.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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