Bocholt. Ein kleines schwarzes Kunststoffteil nach dem anderen legt Ruth Schmeink in die Kerben einer Maschine. Der Teller mit den Kerben dreht sich, die abgezählten Teile plumpsen der Reihe nach in eine Plastikverpackung. Die wird jetzt automatisch verschweißt und fällt in die große Kiste unter der Maschine.

Die Flender-Mitarbeitern musste alles neu erlernen, vom Sprechen bis zum Gehen

Die Apparatur ist eine Spezialanfertigung. Extra gemacht für Ruth Schmeink. Die 45-Jährige ist seit ihrer Kindheit schwerbehindert. Sie ist einseitig gelähmt und leidet unter starkem Zittern. „Ich war zehn, kam vom Bäcker, lief über die Straße – und übersah ein Auto“, erzählt sie. Ein winzig kleiner Augenblick, der ihr Leben veränderte. Der Aufprall war so heftig, dass sie neun Wochen lang im Koma lag. Als sie aufwachte, musste sie alles neu erlernen, vom Sprechen bis zum Gehen. „Aber ich bin eine Kämpfernatur“, sagt sie und lacht dabei.

Die Frau arbeitet bei Flender in Bocholt, einem Unternehmen, das Kupplungen und Getriebe unter anderem für Industrieanlagen, Hafenkräne und Windkrafträder herstellt. Und die schwarzen Kunststoffteile, die Ruth Schmeink so geduldig einlegt, sind Ersatzteile: Gummi-Puffer für Kupplungen.

Gemeinsamer Aufruf zur besseren Integration von Schwerbehinderten

Der Getriebehersteller Flender, der an seinen drei nordrhein-westfälischen Standorten 3.250 Mitarbeiter hat, beschäftigt 185 Schwerbehinderte. Das ist mehr als die vom Gesetzgeber geforderten 5 Prozent. Wer darunter liegt, muss eine Ausgleichsabgabe zahlen. Alle Privatunternehmen in NRW kommen im Schnitt auf einen Schwerbehindertenteil von 4,6 Prozent.

Das soll besser werden. Deshalb haben der Verband der Metall- und Elektro-Industrie NRW, die IG Metall, die Landesagentur für Arbeit und der Landwirtschaftsverband Westfalen-Lippe jüngst bei Flender einen gemeinsamen Aufruf „Ausbildung und Beschäftigung der Menschen mit Behinderung“ unterschrieben (mehr unter aktiv-online.de/aufruf). Damit diese leichter Arbeit finden. Oder im Unternehmen bleiben können. Wie beispielsweise Matthias Bruns.

Maschinenschlosser arbeitet heute nach einer Umschulung als Messtechniker

Der gelernte Maschinenschlosser hat bei den Westfalen früher große Windradgetriebe gebaut – „richtig fette Dinger“, so der 57-Jährige. „Da bin ich in 20 Meter Höhe rumgeturnt.“ Das ist vorbei: „Eine Leiter hochklettern geht gar nicht mehr“, sagt er. „Knie!“

Vor gut drei Jahren bekam der Vater von zwei Kindern Schmerzen im linken Knie. Die erschreckende Diagnose: bösartiger Knochentumor! Eine OP folgte, jetzt fehlen drei Viertel des Schienbeins - sowie Muskelmasse.

Heute arbeitet die Fachkraft nach einer Umschulung als Messtechniker in der Qualitätskontrolle: „Früher hatte ich immer Hammer und Zange in der Hand“, schwärmt Bruns. „Jetzt sitze ich am Computer. Damit hab ich mich anfangs schwergetan.“

Immerhin geht jetzt wieder Radfahren, mit dem E-Bike

Auch sein Kollege Günter Krause hat ein schweres Handicap: Der 61-Jährige, der früher bei Flender in der Gehäusebearbeitung beschäftigt war, leidet seit 20 Jahren an Rheuma. In beiden Knien hat er jetzt künstliche Gelenke. Schwere Lasten sind tabu. Mehr noch: „Fußball, Tennis – alles nicht mehr drin“, murmelt er, als er mit seiner Apparatur eine Bohrung nachmisst. Immerhin kann er wieder Radfahren, mit dem E-Bike.

Azubi kommt beim Lernen gut voran – dank spezieller Tastatur und Maus

Oft reichen Umschulungen allerdings nicht, um die Betroffenen im Job zu halten. Manchmal braucht man auch technische Hilfsmittel. So gibt es am Schulungszentrum der Bocholter jetzt einen Aufzug. Damit kann der angehende Produktdesigner Daniel Wendholt mit seinem Rollstuhl zum Ausbildungsplatz gelangen.

Der 20-Jährige, der seit dem Alter von neun Jahren durch eine Krankheit nur eingeschränkt beweglich ist, lernt gerade, neue Windkraftgetriebe zu entwickeln. Dank spezieller Tastatur und Maus kommt er da gut voran. Den ersten Teil seiner Lehrlingsprüfung hat er schon bestanden, mit einer Zwei.