Frankfurt/Kerpen. Es ist ein gigantischer Plan! Wo heute noch Bagger Braunkohle aus der Erde holen, soll nach dem Kohleausstieg bis 2038 ein gewaltiger Speicher für Ökostrom entstehen: im „Hambacher Loch“, einem Tagebau beim rheinischen Kerpen. Auf dessen Grund sollen ein 100 Meter hoher Betonbehälter mit bis zu vier Quadratkilometer Fläche sowie Pumpturbinen errichtet werden. Sobald das Abbauloch mit Wasser gefüllt ist, lassen sich in dieser „Riesen-Batterie“ an die 400 Millionen Kilowattstunden Strom speichern – genug, um Deutschland mehrere Stunden in Gang zu halten.
Was sich wie eine wahnwitzige Idee anhört, ist ernst gemeint. Entwickelt haben den Plan der pensionierte Physik-Professor Horst Schmidt-Böcking aus Frankfurt und sein Kollege Gerhard Luther aus Saarbrücken. Die Stadt Kerpen hat die „Wasserbatterie“ in ihre Strategie für die Nachkohlezeit aufgenommen, ein Stuttgarter Ingenieurbüro tüftelt unabhängig davon an Bauplänen für das Milliarden-Vorhaben.
Riesen-Batterie in Hambach als Schlüsselprojekt für die Energiewende
„Die Riesen-Batterie kann ein Schlüsselprojekt für die Energiewende sein“, sagt Schmidt-Böcking. „Wir brauchen Speicher, mit denen wir die gewaltigen Überschussmengen von Ökostrom an wind- und sonnenreichen Tagen bunkern können.“ 100 Millionen Kilowattstunden oder mehr drücken da schon mal ins Netz. Das kann wegen fehlender Stromtrassen nach Süddeutschland so viel oft gar nicht aufnehmen. Also werden Windräder abgeschaltet.

Mit der Riesen-Batterie in Hambach ließe sich überschüssiger Grünstrom zwischenbunkern, um damit Wasserstoff für die Langzeitspeicherung zu erzeugen. Damit das Land in einer winterlichen Dunkelflaute ohne Wind und Sonne Reserven hat. „Noch hat die Energiewende hier eine Schwachstelle“, kritisiert Schmidt-Böcking. Nicht gut angesichts des ständig steigenden Ökoanteils am Strommix. Fazit: Riesige Stromspeicher braucht das Land! Und die Technik bietet da heute einige Möglichkeiten.
- Der Betonspeicher: Damit kann man in einem See oder auch im Meer unter Wasser Strom speichern. Gibt es zu viel elektrische Energie, pumpt man den mit Wasser gefüllten Behälter leer; braucht man Strom, lässt man Wasser durch eine Turbine wieder hineinströmen. 2016 haben Forscher des Fraunhofer-Instituts IEE die Technik mit einer Betonkugel im Bodensee erfolgreich getestet. Ergebnis: 90 Prozent der gespeicherten Energie lassen sich zurückgewinnen. Auch die riesige Wasserbatterie im Hambacher Loch würde nach dem Prinzip funktionieren.
- Das Pumpspeicher-Kraftwerk: Es hat meist zwei Staubecken, eines oben, eines unten. Bei Strom-Überangebot pumpt man Wasser hoch; wird Energie benötigt, lässt man es durch Rohre und Turbinen hinabsausen und erzeugt Strom. 80 Prozent der Energie holt man so wieder raus. 27 Pumpspeicher sind derzeit in Betrieb, Neubauprojekte kommen kaum voran.
- Die Flüssigkeitsbatterie: Sie speichert Strom über chemische Reaktionen in großen Tanks. Je größer die Tanks, desto mehr Energie nehmen sie auf. Deutschlands größte Flüssigkeitsbatterie steht in einem Keller des Fraunhofer-Instituts ICT in Pfinztal bei Karlsruhe und nutzt Vanadium-Lösungen zum Speichern. Sie kann 20 Megawattstunden bunkern, genug für den Tagesbedarf von 2.000 Vier-Personen-Haushalten. Noch reizt das Institut die Batterie nur zum Teil aus.
- Der Großbatteriespeicher: Lithium-Ionen-Akkus machen heute als Speicher bei Energieversorgern Karriere und stabilisieren die Netze. Der Preis der Akkus hat sich binnen weniger Jahre halbiert. Laut einer Studie von Forschungszentrum Jülich und Technik-Uni RWTH Aachen boten Großbatterien zuletzt bundesweit schon 550 Megawattstunden Kapazität. Zudem sammeln über 120.000 Akkus in Wohnhäusern Sonnenstrom; Kapazität: geschätzte 1.400 Megawattstunden. Von ihnen profitiert das Netz nicht; technisch machbar wäre das aber.
- Der Hitzespeicher: Ingenieure vom Windanlagen-Hersteller Siemens Gamesa haben so ein System entwickelt. Zum Stromspeichern heizt ein „Riesen-Föhn“ 1.000 Tonnen Vulkangestein auf 750 Grad Celsius auf. Eine Woche lässt sich die Hitze vorhalten. Erzeugt man mit ihr Dampf, kann man eine Turbine antreiben und Strom produzieren. Eine Pilotanlage in Hamburg nimmt 130 Megawattstunden auf, Ziel der Ingenieure sind mehrere Tausend Megawattstunden.
aktiv Podcast Folge 11: Windenergie: Geht uns die Puste aus?
Deutschland ist ein stromhungriges Land. 583 Milliarden Kilowattstunden haben wir im Jahr 2021 verbraucht. Dieser Strom soll zukünftig fast ausschließlich aus regenerativen Energien gewonnen werden. Hoffnungsträger Nr. 1 ist Windenergie. Doch der Ausbau stockt. Es werden längst nicht mehr so viele Windkraftanlagen gebaut, wie nötig wären. Woran liegt das? Diese Frage haben sich die aktiv-Redakteure Nadine Bettray und Uli Halasz auch gestellt. An einem konkreten Beispiel – dem geplanten Windpark „Silberschlag“ in Bayern – erörtern die beiden pro und contra Argumente.
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- Speichern mit Gas: Würde man mit überschüssigem Ökostrom das Gas Wasserstoff herstellen und daraus vielleicht Erdgas, ließen sich riesige Mengen speichern. Die deutschen Untertage-Gasspeicher können 24 Milliarden Kubikmeter Erdgas aufnehmen, ein Viertel des Jahresbedarfs. Bis 2035 will die Bundesregierung Anlagen mit zehn Gigawatt Erzeugungskapazität für Wasserstoff aufbauen. Doch das ist zu wenig. Eine Studie des Instituts Energy Brainpool in Berlin hält das Vierfache für nötig. Zudem bräuchte man doppelt so viele Gaskraftwerke, um bei einer Dunkelflaute mit dem gebunkerten Gas Strom zu erzeugen. Da wartet noch eine Menge Arbeit auf die Macher der Energiewende.
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