Kaum ein Körperteil ist so komplex wie die menschliche Hand. Sie kann ein dünnes Haar aufnehmen und schwere Kisten heben, sanft streicheln und blitzschnell zugreifen. Dieses perfekte System in automatisierte Robotertechnik umzusetzen, ist eine Herausforderung. Noch größer wird diese, wenn die Maschine dann auch noch mit dem Menschen zusammenarbeitet, wenn sie sich von seinen Gesten steuern lässt und sich seinem Tempo anpasst – also genau das Richtige für das Unternehmen IBG Automation.

„Wir müssen das Gefühl und die Schnelligkeit der menschlichen Hand übertragen“

„Wir waren die Ersten, die die Fünf-Finger-Hand industriell eingesetzt haben“, sagt Holger Hoffmann, einer der drei Geschäftsführer. Schlagzeilen machte sie – als Vision vom Arbeitsplatz der Zukunft - im letzten Jahr auf der Hannover-Messe, als sie Kanzlerin Angela Merkel mit der Ghetto-Faust begrüßte. Ihr Alltag besteht darin, bei Daimler in Bremen Schiebedächer für die Serienproduktion vorzubereiten. Da trägt sie den Klebstoff auf, gleichmäßig, mit immer dem richtigen Druck und auf das flexible Material reagierend. „Wir müssen das Gefühl und die Schnelligkeit der menschlichen Hand übertragen“, erklärt Hoffmann. Dafür müssen allein neun Motoren plus sieben Achsen des Roboters gesteuert werden - eine lösbare Aufgabe, denn das Firmenmotto lautet: „Das Unmögliche behandeln, als ob es möglich wäre“.

Nach diesem Grundsatz verfährt Firmengründer Matthias Goeke seit 37 Jahren sehr erfolgreich. Aus dem Zwei-Mann-Ingenieurbüro unterm Dach in Neuenrade ist die weltweit tätige Goeke Technology Group mit 280 Mitarbeitern an drei Standorten in Deutschland und weiteren in den USA, Malta und Japan geworden. Sie entwickeln Roboter- und Automationslösungen für große Namen wie Daimler, VW und Tesla ebenso wie für die Mittelständler der Region.

Neuentwicklungen sind das Kerngeschäft von IBG

Es gibt einige Klassiker wie die automatische Radmontage am laufenden Band, die mittlerweile zum Standard bei allen großen Automobilherstellern gehört. Von der Stange ist aber kaum etwas, alles wird auf den Kunden abgestimmt. Gut die Hälfte der realisierten Projekte sind Neuentwicklungen. „Das einfache Pick and Place, etwas von A nach B transportieren, können wir auch. Wir haben uns aber auf technisch herausfordernde Systeme spezialisiert; das, was nicht jeder kann“, erklärt der Geschäftsführer.

Hardware stammt von namhaften Herstellern wie Kuka oder Schunk

Die „Hardware“ kommt dabei von namhaften Herstellern wie Kuka oder Schunk. „Wir bringen die Roboter in Bewegung. Das ist eine unserer Kernkompetenzen“, sagt Hoffmann: „Die sind ja zunächst wie ein Werkzeug. Wir machen daraus ein intelligentes System.“ Dabei gehe es nicht darum, Arbeitsplätze wegzurationalisieren. Roboter können anstrengende, ermüdende, laute und gefährliche Arbeiten übernehmen und so den Menschen entlasten. Automatisierung sei wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben: „Viele Kunden können nur so den Standort in Deutschland halten.“

Selbst Kleinserien bis hin zu Einzelstücken können kostengünstig gefertigt werden, so Hoffmann. IBG bietet dafür unter anderem eine flexible Endmontagezelle an, in der drei Roboter zusammenarbeiten. Entwickelt wurde sie für den einfachen Bau eines Elektro-Minibusses. Produzieren kann sie aber auch Schiffskabinen oder Möbel.

Masterstudenten tüfteln am fahrerlosen Transportsystem, ohne Leitspuren im Boden

In Teams arbeiten Ingenieure, Programmierer, Techniker und Elektriker an den Projekten, von denen immer rund neun in den Hallen in Neuenrade stehen, während etwa die gleiche Anzahl noch in der Konstruktion ist. Da schnurrt neben der großen Anlage, die zukünftig für die Kühlermontage eines Automobilherstellers eingesetzt wird, ein flacher Kasten über den Boden, gesteuert von Amala Putrevu und Srinivas Gollapudi. Die beiden Masterstudenten aus Aachen tüfteln am fahrerlosen Transportsystem: Das Fahrzeug kann frei navigieren, ohne Leitspuren im Boden.

Neben den Kundenaufträgen und eigenen Entwicklungen spielen Forschungsprojekte eine große Rolle, bei denen IBG mit Hochschulen und Industrie-Unternehmen kooperiert. Sechs sind es aktuell, eines von ihnen ist Medusa aus 3DProCar: ein großer Roboter verbunden mit sechs kleinen.

Effiziente Fertigung auf kleinem Raum

Sie fertigen – als Demonstrationsobjekt – die Crash-Schale einer Fahrzeugtür aus Carbon. Zwei Roboter greifen die Bauteile, zwei schweißen, zwei versteifen. Als Nächstes könnten sie, so der Plan, ohne große Umrüstung etwas anderes produzieren, etwa eine Heckklappe: flexible Fertigung auf kleinerem Raum und mit deutlich weniger Arbeitsschritten als in einer herkömmlichen Anlage. Ein Prototyp, der Raum lässt für Visionen.

Hildegard Goor-Schotten
Autorin

Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie außerdem bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten

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