Köln. Corona und noch kein Ende: Fast ein Jahr lang befindet sich die deutsche Wirtschaft nun schon im Krisenmodus. Was jetzt Hoffnung macht und welche Hürden noch zu überwinden sind – darüber sprach aktiv mit Professor Michael Hüther, dem Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Die Corona-Krise hat die Industrie mit voller Wucht getroffen. Zeichnet sich inzwischen Licht am Ende des Tunnels ab?

Die deutsche Wirtschaft hat im vergangenen Jahr heftige Schwankungen durchlebt. Die Industrieproduktion ist im Frühjahr 2020 um rund 30 Prozent eingebrochen. Zum Vergleich: Während der Finanzkrise 2009 waren es nur 3 Prozent. Die Folgen des ersten Lockdowns konnten durch finanzpolitische Maßnahmen zwar abgemildert werden, erholt haben sich die konsumnahen Sektoren aber nicht: Es drohen also Insolvenzen von Unternehmen und Selbstständigen in diesem Bereich. Licht am Ende des Tunnels zeigt sich durch das starke Anziehen des Außenhandels, der besonders durch die positive wirtschaftliche Entwicklung in China getrieben wird.

Nun steht ja das große Impfen an. Wird das die Konjunktur ankurbeln?

In der Tat erwarten wir dadurch positive Effekte auf die Wirtschaft. Die Restriktionen im Dienstleistungsbereich wie das Schließen der Gastronomie können bei einer erfolgreichen Impfkampagne wieder gelockert werden, Belastungen für andere Bereiche drohen nicht mehr. Wir haben 2020 gesehen, dass die privaten Haushalte deutlich mehr gespart haben: Es wurden stellenweise Urlaubsreisen abgesagt und Konsumentscheidungen verschoben. Bei einem stabilen Umfeld werden die Menschen 2021 einiges an Konsum nachholen. Zudem wirkt der Impfstoff ja auch global, sodass der Außenhandel weiteren Schub erhalten wird.

Das IW geht jetzt davon aus, dass die deutsche Wirtschaft 2021 wieder um 4 Prozent wächst, dass der starke Einbruch des Jahres 2020 also immerhin teilweise aufgeholt wird.

Ja, die reale Wirtschaftsleistung dürfte 2021 um gut 4 Prozent über dem Niveau des Krisenjahres 2020 liegen, für das wir einen Einbruch von 5,25 Prozent erwarten. Die Inflation wird sehr moderat bleiben, die Arbeitslosenquote bei knapp 6 Prozent verharren. Unsicher bleibt, wie sich die Investitionen entwickeln werden, die für zukünftiges Wachstum wichtig sind. Die globale Investitions- und Handelstätigkeit hängt zum Beispiel von den Entwicklungen rund um den Brexit ab. In unserer jüngsten Prognose sind wir für das erste Quartal 2021 allerdings deutlich pessimistischer als zuvor, denn das wird wohl unter dem erneuten Lockdown leiden. Hinzu kommt die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf ihr altes Niveau von 19 Prozent.

Viele Betriebe kämpfen ums Überleben – andere sind sogar Krisengewinner. Hat Corona die Unterschiede zwischen den M+E-Branchen und zwischen den M+E-Unternehmen verstärkt?

Corona hat Digitalisierungsprozesse beschleunigt, das prägt Unternehmen und ganze Branchen. Das produzierende Gewerbe befand sich ja bereits seit Anfang 2018 in einer rezessiven Phase, die Corona-Krise hat diesen Trend beschleunigt. Das Bild ist branchenübergreifend sehr unterschiedlich. Schwer getroffen sind die Industrieunternehmen mit einer Größe von 20 bis 249 Beschäftigten, und zwar aufgrund der „Mittelstandslücke“ bei den Corona-Hilfspaketen vom April 2020: Schätzungsweise 88 Prozent der M+E-Unternehmen konnten nicht von den Soforthilfen und vom Wirtschaftsstabilisierungsfonds profitieren. Eine wichtige Stellschraube ist oft der ausländische Markt: Im Fahrzeugbau etwa wurden 2019 fast zwei Drittel des Umsatzes dort erzielt.

In vielen Firmen stehen Arbeitsplätze auf der Kippe. Was brauchen Unternehmen jetzt, um möglichst viele Jobs erhalten zu können?

Nach wie vor rechnen viele Unternehmen mit Produktionslücken. Das spricht für eine eher langsame Erholung. Um diese Zeit weiterhin zu überbrücken, gibt es das Kurzarbeitergeld, das sich in dieser Krise wieder bewährt. Die Erwerbslosenquote stieg übrigens im Euroraum um lediglich 1 Prozentpunkt. Es werden zwar weniger Arbeitskräfte gebraucht, aber das realisiert sich vorwiegend dadurch, dass Arbeitszeiten verkürzt werden. In diesem Jahr wird die konjunkturelle Lage die Situation entspannen. Zur Krisenbewältigung sollten Anreize für Neueinstellungen geschaffen werden, anstatt flexible Beschäftigungsformen noch stärker zu regulieren.

Wer zahlt eigentlich die hohen Corona-Schulden des Staates? Werden wir alle die Rechnung in Form von Steuererhöhungen bekommen?

Es geistern da Vorschläge wie eine Vermögensteuer oder gar ein Lastenausgleich wie in der Frühphase der Bundesrepublik durch die Medien und durch manche Parteien. Es ist aber grundsätzlich verfehlt, die Corona-Pandemie mit der viel dramatischeren Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen!

Die Schuldenbremse sieht einen Tilgungsplan vor, den wir auf 20 oder 30 Jahre strecken sollten. Dann muss es weder zu Steuererhöhungen noch zu Ausgabensenkungen kommen. Der Bund kann sich leichter verschulden als die Länder und Kommunen, die Zinsen liegen bei null: Wenn wir wieder zu einem stabilen Wachstum zurückkehren, können wir die Schuldenstandsquote zügig zurückfahren.

Bei der Steuerbelastung der Unternehmen liegt Deutschland international bereits an der Spitze. Was könnte der Staat hier tun?

Bis Ende 2019 haben die Unternehmen kontinuierlich Beschäftigung aufgebaut. Das hat dem Staat wesentlich dabei geholfen, den Haushalt zu konsolidieren. Die demografische Entwicklung wird aber bald negative Folgen für die deutschen Staatsfinanzen haben. Deshalb gilt es, das Wachstumspotenzial zu stärken.

Steuerpolitisch gibt es da ebenso Handlungsbedarf wie investitionspolitisch. Und dazu zählt eine international ausgerichtete Unternehmensteuerreform. Bei der Körperschaftsteuer könnte eine Reduzierung um bis zu 5 Prozentpunkte helfen, die deutschen Unternehmen international wettbewerbsfähiger zu machen. Und ohne Vollabschaffung des Solidaritätszuschlags würden wir eine Art Unternehmenssondersteuer erhalten.

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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