Osterode. Mehr als 20 Jahre ist Sven Vogt Unternehmer. „Zeiten wie diese habe ich noch nicht erlebt“, sagt er. Aus allen Richtungen komme es zurzeit faustdick, erzählt er beim Besuch von aktiv. Die Energiepreise sind geradezu explodiert. Und Rohstofflieferanten melden, dass sie erst Monate später oder zum Teil gar nicht liefern können.

Große Sorge machen Vogt die Lieferprobleme. Früher habe es so etwas hin und wieder bei sehr wenigen Händlern gegeben. „Heute sind es 30 bis 40 Prozent unserer Lieferanten, die uns keine Zusage machen können.“

Aktuell bis zu 40 Wochen Lieferzeit bei Kautschuk

Vogt ist Chef und Gesellschafter der KKT Gruppe in Osterode, die Gummi-, Silikon- und Kunststoffteile für die Auto-Industrie, aber zum Beispiel auch Atemschutzmasken für Feuerwehrleute herstellt. KKT benötigt monatlich 60 bis 70 Tonnen Spezialkautschuk, vorwiegend als Naturprodukt.

In normalen Zeiten trifft die bestellte Ware nach zwei bis acht Wochen ein. Im Moment geben die Händler Lieferzeiten von bis zu 40 Wochen an – oft nur mit Vorbehalt.

Vogt kennt als Vorsitzender des Arbeitgeberverbands der Deutschen Kautschukindustrie auch die Situation seiner Kollegen sehr gut. „Die Lage ist ernst und in Teilen unserer Industrie außerordentlich kritisch“, berichtet er. Wohin er auch schaue, überall das gleiche Bild. Dauerten Abkühlungsphasen in der Wirtschaft normalerweise 12 bis 18 Monate, befinde sich die Branche nun seit 38 Monaten im Krisenmodus. Durch Nachfrageeinbrüche und Lieferengpässe sind große Teile angeschlagen. „Zwei Jahre Pandemie haben in nahezu allen Betrieben schwere Bremsspuren hinterlassen. Aus China geht zurzeit wegen Corona nichts raus. Und bei uns schnellen die Krankenquoten in den Belegschaften durch die Decke.“

Energiepreise seit Beginn des Ukraine-Kriegs regelrecht explodiert

Die Autozulieferer in der Branche wie etwa Reifenproduzenten fragen sich deshalb: Wie sollen sie bei geschrumpften Umsätzen und roten Zahlen noch massiv in Dekarbonisierung, E-Mobilität und Digitalisierung investieren? Zugleich müssen sie starken Produktionseinbrüchen standhalten. Es gebe viele, die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen. Sven Vogt gibt offen zu: „Die Situation macht mir massive Bauchschmerzen.“

Hinzu kommt die teure Energie. Schon im Januar lagen die Energiepreise 67 Prozent über dem Niveau des Vorjahres, seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind sie regelrecht explodiert. „Das geht klar zulasten der Liquidität. Viele müssen an ihre Reserven.“ Er wisse von Betrieben, die bereits Investitionen zurückfahren und über Verlagerungen an kostengünstigere Standorte nachdenken. KKT-Chef Vogt beobachtet, dass sich Lieferanten bereits aus Europa zurückziehen und auf Produktionsstandorte in Asien und den USA ausweichen.

Regelung für Kurzarbeitergeld sollte verlängert werden

Vogt plädiert für ein Umdenken und fordert mehr Planungssicherheit für die Autozulieferer. „Lieferanten, Vorproduzenten, Hersteller – in der Prozesskette gilt immer noch just in time. Wir alle sollen flexibel sein, erhalten dafür aber keine Sicherheiten von den Autoherstellern.“ In anderen Branchen seien beide Seiten Partner auf Augenhöhe.

Dabei schwappe eine Welle mit massiven Kostensteigerungen über die Branche. Rohstoffe, Transport, Energie – die Kosten sind nicht kalkulierbar. Das gelte auch für die Arbeitskosten. Vogt spricht sich für eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes aus. Die Regelung werde man auch in diesem Jahr und womöglich noch 2023 brauchen. Nachdenklich sagt er: „Wir hören das Grummeln eines Tsunamis, aber bleiben alle am Strand liegen.“

Werner Fricke
Autor

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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