Berlin. Wer ist wohl der bessere Arbeitgeber: private Unternehmen oder Vater Staat? Wenn Politiker sich mit den Arbeitsbedingungen hierzulande auseinandersetzen, zeigen sie jedenfalls nur allzu gerne mal mit dem Finger auf die Wirtschaft. Aktuelles Beispiel: Die Regierung will den „Missbrauch“ der „sachgrundlos“ befristeten Arbeitsverträge eindämmen. So steht’s im Koalitionsvertrag. Dabei nutzt die Bundesregierung selbst genau solche Verträge – bei fast 8.000 ihrer eigenen Mitarbeiter!
AKTIV hat sich daher mal angesehen: Wie arbeitet es sich so beim Staat?
Insgesamt arbeiten rund 4,7 Millionen Menschen direkt im öffentlichen Dienst, davon 1,8 Millionen mit Beamtenstatus. Beim Bund verschlingen die Personalkosten ein knappes Zehntel des gesamten Haushalts. Dabei machen typische Verwaltungsjobs nur einen kleinen Teil der Arbeitsplätze aus: Viele Staatsdiener arbeiten im Gesundheits- oder im Verkehrswesen, in Erziehung und Bildung, in der Energiewirtschaft.
Wie sieht es bei Bezahlung und Arbeitszeit aus?
Der Staat galt lange als knauserig, die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten aber als durchaus anständig. Inzwischen hat der Staat in Sachen Bezahlung etwas aufgeholt, doch in der Industrie ist bei gleicher Qualifikation meist mehr drin. Das geht ganz oben los: Als Vorstandsmitglied eines großen Konzerns verdient man deutlich mehr als die Bundeskanzlerin! Bei normaleren Jobs kommt es auf die Branche an.
So liegt zum Beispiel das Entgelt für einfache Tätigkeiten in der untersten Entgeltgruppe der Kommunen bei gut 1.800 Euro brutto. Das ist zwar mehr als im Einzelhandel, wo die am niedrigsten entlohnten Verkaufshilfen zum Beispiel in NRW mit rund 1.600 Euro im Monat auskommen müssen. Aber es ist viel weniger als etwa in der Metall- und Elektro-Industrie, wo das Einstiegsgehalt rund 2.400 Euro brutto beträgt.
Was man wissen sollte: Die allermeisten Staatsdiener arbeiten regelmäßig 39 bis 40 Stunden pro Woche (für Beamte gelten sogar 40 bis 41 Stunden). Laut Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, kurz BAUA, sind 41 Prozent mindestens einmal pro Monat am Wochenende im Einsatz; in der Industrie liegt diese Quote bei 38 Prozent. Im Vergleich zur Industrie beklagen auch mehr öffentlich Beschäftigte, dass sich ihre Arbeitszeiten betrieblich bedingt häufig ändern würden.
Wie steht's um die Jobsicherheit?
„Der öffentliche Dienst bietet eine hohe Arbeitsplatz-Sicherheit“, wirbt die Regierung auf ihren Internetseiten. Stimmt. Pleite machen dürfte der Staat ja eher nicht, Steuergeld kommt immer rein … Fakt ist aber auch: Öffentliche Arbeitgeber befristen ihre Arbeitsverträge öfter als viele private Unternehmen. So ist in der öffentlichen Verwaltung insgesamt jeder Zehnte nur auf Zeit eingestellt. Zum Vergleich: In der Industrie hat nur jeder Fünfzehnte einen befristeten Vertrag.
Wie sind Betriebsklima und Arbeitsbedingungen?
„Chef, hör uns doch endlich mal zu!“ So könnte man zusammenfassen, was sich viele Staatsdiener laut Umfrage der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung wünschen: Jeder Zweite fühlt sich „nicht in seinen Interessen wahrgenommen“. Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, bewertet Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz demnach schlechter als Befragte in der Industrie.
In so mancher Amtsstube dürfte man sich zudem ein moderneres, sprich digitaleres Arbeitsumfeld wünschen. Viele verbringen noch immer einen Großteil ihrer Arbeitszeit damit, Akten zu wälzen oder Formulare abzuheften. Das belegt der „Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ der EU-Kommission. Die föderale Struktur unseres Landes, heißt es in dem Bericht, werfe „spezifische Schwierigkeiten bei der Einführung einer kohärenten und flächendeckenden elektronischen Verwaltung auf“. Folge: „Deutschland ist eines der EU-Länder mit der niedrigsten Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgern.“ Was uns Bürger wenigstens nur ab und zu nervt, müssen die in Behörden Aktiven Tag für Tag ertragen.
Erzeugt das Frust, der krank macht? Die Wahrscheinlichkeit, aufgrund psychischer Ursachen arbeitsunfähig zu werden, ist für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst um zwei Drittel höher als in der freien Wirtschaft; diese Erkenntnis kommt von der BAUA.
Der Krankenstand im öffentlichen Dienst ist zwar nicht dramatisch, aber doch etwas höher als in vielen anderen wichtigen Sektoren. So weist der „Gesundheitsreport“ der (immerhin drittgrößten) gesetzlichen Kasse DAK für die öffentliche Verwaltung einen Wert von 4,2 Prozent aus – 2017 waren pro Kalendertag im Schnitt 42 von 1.000 Mitarbeitern arbeitsunfähig erkrankt. Mehr als zum Beispiel im Maschinen- und Fahrzeugbau oder im Handel (je 4,0 Prozent), im Baugewerbe (3,8 Prozent) oder bei Banken und Versicherungen (3,3 Prozent).
Besonders oft fallen übrigens Leute in der unmittelbaren Bundesverwaltung aus – also in den Bundesministerien und nachgeordneten Behörden. Hier war 2016 laut Erhebung des Innenministeriums im Schnitt jeder an 21 Arbeitstagen krank oder in Reha – ein neuer Negativrekord. Zum Vergleich: Der bundesweite Schnitt bei allen Versicherten der (zweitgrößten) Techniker Krankenkasse lag im gleichen Jahr bei 15 Tagen.
Wie beliebt sind die Stellen bei Vater Staat?
Behörden und staatliche Einrichtungen haben große Nachwuchssorgen. Der Altersschnitt liegt bei 44,5 Jahren, nur 15 Prozent der Staatsdiener sind jünger als 30. Laut Regierung waren 2017 knapp 35.000 Stellen unbesetzt.
Einen Blick in die nahe Zukunft wirft Peter Detemple, Experte für den öffentlichen Dienst bei der Unternehmensberatung PWC. Seine Rechnung: „Im Jahr 2030 werden 816.000 Stellen mangels geeigneter Bewerber nicht besetzt werden können“ – ein Viertel davon Lehrerjobs. Der Personalmangel wachse hier viel stärker als etwa in der Industrie, weil man ihn weniger durch Automatisierung kompensieren könne. Aber auch deshalb, weil der öffentliche Dienst kein gutes Image habe. Detemple drückt es so aus: „Gerade ambitionierte Studenten und Führungskräfte vermissen Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten und gehen lieber in die freie Wirtschaft.“