Sontheim an der Brenz. Michi Spanke hat den Dreh raus. Sie schwenkt das Bohrfutter, das später an eine Profi-Bohrmaschine drankommen wird. Per Druckluft sausen 16 Kugeln in die Laufbahn des Lagers. Fertig – her mit dem nächsten Stück! Neben ihr surren und zischen die Apparate, es riecht nach Öl und Eisen. „Ich mag die Maschinen, den Geruch“, sagt die 33-Jährige beim aktiv -Besuch. Vor Kurzem arbeitete sie noch in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Doch jetzt hat sie ihren Arbeitsplatz in einem ganz normalen Industriebetrieb: beim Spann- und Greiftechnikspezialisten Röhm in Sontheim.

Das Unternehmen (1.300 Mitarbeiter weltweit) will ein Vorbild in Sachen Inklusion sein. Es hat in Kooperation mit der HWW GmbH (Heidenheimer gemeinnützige Werkstätten und Wohnheime), die sich für Menschen mit geistigen Behinderungen einsetzt, zwölf feste Arbeitsplätze für deren Schützlinge eingerichtet. Die sind jetzt ganz normale Kollegen: Man trifft sich in der Pause, man klatscht sich ab, wenn es in den Feierabend geht.

Ein „Jobcoach“ hilft bei der Integration im Betrieb

Einer der Mitarbeiter mit Behinderungen ist Matthias Kraus. Der Mann ist stolz auf seine Dienstkleidung, trägt den blauen Pulli sogar, wenn er mal mit seinem Hund spazieren geht. Holger Männecke betreut das Projekt bei der HWW. Er sagt: „Die Motivation bei unseren Leuten ist extrem hoch.“ Im Pool für ausgelagerte Arbeitsplätze sind mittlerweile 20 Klienten der HWW. Die Einsatzplanung für die zwölf Arbeitsplätze bei Röhm übernimmt ein „Jobcoach“ der HWW. Jobcoaches sind eine wichtige Schnittstelle zum Unternehmen: Sie leiten die Klienten auch im Arbeitsprozess an, geben individuelle Unterweisungen.

Rainer Wiedenmann wiederum leitet das Projekt bei Röhm. „Inklusion ist für unsere Geschäftsführung ein Herzensprojekt“, sagt er. „Tatsächlich bringt sie uns aber auch Vorteile.“ Die Zusammenarbeit der Beteiligten sorge auf vielen Ebenen für mehr Verständnis, zunehmenden Respekt und gegenseitige Lerneffekte.

Dass die neuen Kollegen „anders“ sind, wirke sich aus. „Bei uns wird jetzt mehr gelacht“, hat Wiedenmann beobachtet. Als Martin Joas das hört, nickt er. Er arbeitet seit 30 Jahren bei Röhm und sitzt gerade inmitten der Kollegen der HWW, um den Rundlauf der Bohrfutter zu prüfen. „Die sind immer freundlich, kommen stets mit einem Lachen – das steckt an“, erzählt Joas.

7,8 Millionen Menschen in Deutschland haben schwere Behinderungen

In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt 7,8 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen. Per Gesetz sind Betriebe ab 20 Mitarbeitern verpflichtet, auf mindestens 5 Prozent der Stellen schwerbehinderte Menschen einzusetzen (sonst wird eine Ausgleichsabgabe fällig). Röhm kam an den deutschen Standorten schon vor dem neuen Projekt auf eine Quote von 5,4 Prozent – jetzt liegt sie bei über 10 Prozent. Projektleiter Wiedenmann ist sehr zufrieden: „Wir können uns auf die HWW voll verlassen. Alles läuft gut.“ Gleichwohl produziere man bis zu vier Wochen im Voraus, um eventuelle Ausfälle kompensieren zu können.

Die eigens eingerichteten Arbeitsplätze sind im Lauf einer langen Kooperation entstanden. Es gab auch Hürden zu überwinden. „Wir mussten Prozesse neu organisieren“, schildert Wiedenmann. Die Kollegen der HWW können ein sehr breites Leistungsspektrum übernehmen. Michi Spanke erklärt: „Ich mach am liebsten was an den Maschinen!“

Christian Schreiber
Autor

Unser freier Autor Christian Schreiber ist als Journalist in Baden-Württemberg, Bayern und der Welt unterwegs. Wirtschaftsthemen fesseln ihn seit seiner Jugend. Der Allgäuer, der in Augsburg Medien und Kommunikation studierte, hat die Berge in sein Herz geschlossen und auch sie zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht.

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