Düster sieht es für Tobias Brokherm momentan nur aus, wenn er in den Ofen schaut, an dem er gerade arbeitet. Der massive Drehteller aus dunkler Spezialkeramik glüht noch nicht. Das kommt erst, wenn er – auf 1.200 Grad erhitzt – beim Kunden Hüftgelenke aus Titan kontinuierlich und präzise erwärmt. Ein Roboterarm wird die Teile durch eine kleine Öffnung einlegen und entnehmen. Da kommt es auf eine exakte Steuerung an – und für die hat Tobias Brokherm gesorgt. Für den jungen Elektrotechnik-Ingenieur ist es der erste Industrieofen, den er programmiert hat.

Gute Aussichten auch für die Berufsanfänger

Der 25-Jährige hat seine Stelle bei der Firma Schlager Anfang des Jahres angetreten. Dass kurz darauf die Corona-Pandemie die Wirtschaft in eine historische Krise stürzte, ließ die Zukunft mancher Berufsanfänger nicht gerade rosig aussehen.

Sieben neue Leute eingestellt – um in Zukunft durchstarten zu können

Nicht so in dem Hagener Unternehmen, das auf Industrieofenbau und Thermoprozesstechnik spezialisiert ist. Auch dort brachen Aufträge weg oder wurden verschoben, Kunden wollten selbst bei Störungen keine Service-Mitarbeiter mehr bei sich sehen, die Belegschaft ging in die Kurzarbeit. „Trotzdem haben wir in den letzten Monaten sieben neue Leute fest eingestellt und wollen sie auch halten“, sagt Geschäftsführer Thomas Hüttenhein, der gemeinsam mit Stefan Schlager das Unternehmen führt: „Wir brauchen die Leute, um für die Zukunft gewappnet zu sein.“

Für das zweite Halbjahr sehe es schon wieder ganz gut aus. Die Krise habe man für Fortbildungen genutzt und fürs Aufräumen. Hüttenhein ist Optimist: „Nur schwarzzusehen, bringt einen nicht weiter.“ Anlagen- und Schaltschrankbau, Konstruktion, Automatisierungstechnik, Vertrieb und vor allem der Service wurden personell verstärkt. „Auch wenn wir aktuell nicht wirklich viele Großaufträge haben, die kleinen sind mit wenig Personal nicht zu schaffen“, erklärt Hüttenhein. Er baut eine Serviceabteilung auf, die sich um die Wartung und Modernisierung auch von Fremdanlagen kümmert – ein weiteres Standbein für das Unternehmen.

Für die alten Hasen unter den 40 Mitarbeitern ist das eine beruhigende Perspektive. Die haben ihre eigene Krise schon hinter sich. 2018 war Schlager in die Insolvenz gerutscht, weil ein Großauftrag gekündigt wurde. Die Rettung kam Anfang 2019 mit der Electrotherm-Gruppe aus Israel.

Breites Spektrum nach der Übernahme

Beide profitieren: Electrotherm ist vor allem in der Herstellung elektrisch beheizter Industrieöfen führend. Die Hagener bringen zusätzlich Kompetenzen in Sachen gasbeheizte Öfen ein. Sie werden in der Stahlverformung eingesetzt oder entspannen Karbon für Flugzeugteile. „Wir liefern jegliche Art von Erwärmungsanlagen für viele Branchen“, so Stefan Schlager – schlüsselfertig und nach neuesten Standards, mit allen Abnahmen und ergänzenden Maschinen.

Rund zehn Öfen gehen im Jahr raus. Bis sie fertig sind, dauert es immer einige Monate. Sie zu verpacken unter Umständen auch. So wie bei zwei Öfen für eine Schmiede in China, an denen Nico Nolzen letzte Hand anlegt. Der Industriemechaniker und seine Kollegen haben sie wie im Baukastensystem aufgebaut: rund sieben Meter lang, sechs Meter breit und vier Meter hoch. Allein eine Tür, die sich in nur zwölf Sekunden öffnet und schließt, wiegt acht Tonnen.

Aufwendig müssen die Teile für den Transport im Containerschiff verpackt werden. Vor Ort wird ein Team aus Hagen sie wieder zusammensetzen. An dem Großprojekt hängt einiges. Wenn es gut läuft, kann ein Auftrag für sechs weitere Öfen folgen. „Es ist eine moderne Brennwerttechnologie mit neuen Brennern, stärkerer Isolierung, weniger Stickoxiden“, erklärt Hüttenhein. „Die Chinesen stellen hohe Anforderungen in Sachen Energie.“

Industrieofenbauer Schlager gehört jetzt zur Electrotherm-Gruppe aus Israel

Der Umwelttechnologie gehört die Zukunft, „und das ist unser Metier“, so Hüttenhein. Auch an einer Lösung mit Wasserstoff werde gearbeitet. „Der Technologietransfer zwischen beiden Unternehmen ist dabei sehr wichtig“, betont er. Man unterstütze sich gegenseitig. Für die Kollegen in Israel zahlte sich das besonders während der dort massiver auftretenden Corona-Pandemie aus. Die Zusammenarbeit sei sehr kollegial. „Die Menschen sind uns in der Mentalität sehr nah. Sie sind warmherzig und offen.“ Auch die deutsch-israelische Freundschaft hat da eine Zukunft.

 

Begegnung mit ....

Nico Nolzen hat den Beruf gewechselt – vom Kaufmann zum Industriemechaniker

Für den angehenden Industriemechaniker Nico Nolzen waren Industrieöfen absolutes Neuland, als er 2019 bei Schlager sein Umschulungs-Praktikum absolvierte. „Ich hab alles aufgesogen wie ein Schwamm“, erinnert er sich. „Bei einem Kunden hab ich zum ersten Mal einen Industrieofen in Action gesehen. Da war ich schon schwer begeistert.“ Mittlerweile hat er seine Lehre abgeschlossen und an mehreren Öfen des Anlagenherstellers in Hagen mitgebaut. „Täglich zu sehen, wie es sich verändert, das ist schon toll“, sagt er.

Ein begeisterter Schrauber ist der 38-Jährige seit seiner Kindheit. Aber: „Lern was Vernünftiges“, hatten die Eltern dem Realschüler geraten. Die Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann war interessant. Doch nach der Bundeswehr wurde es ohne Abitur und Studium nichts mit der Bürokarriere. Als Fitnesstrainer machte er sein Hobby zum Beruf, bis ein Motorradunfall auch das beendete.

Zehn Jahre arbeitete er als Hilfsschlosser in der Instandsetzung – und merkte, dass ihm genau das gefällt. „2017 hab ich dann ganz neu angefangen.“ Die Umschulung in der Ausbildungsgesellschaft Mittel-Lenne in Iserlohn sei „bombig“ gewesen und hat ihm Anfang des Jahres die Festanstellung gebracht. Hier wird er gebraucht – gerade macht er seinen Schweißerschein, und der nächste Wartungseinsatz steht auch schon an.

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Ich war schon immer mehr Macher und hab mich eigentlich nicht im Büro gesehen. Seit ich 13 war, hab ich am Lkw rumgeschraubt.

Was reizt Sie am meisten?

Die Abwechslung. Wartung, Neubau, Umbau, Instandsetzung: Hier hab ich mit der ganzen Palette zu tun.

Worauf kommt es an?

Ich muss mir im Vorfeld Gedanken machen, wie ich es hinkriege, dass es wieder läuft, und selbst zum Ergebnis kommen.

Hildegard Goor-Schotten
Autorin

Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie außerdem bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten

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