Stuttgart. Eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft hat das Leid der Menschen in der Ukraine hierzulande ausgelöst. Auch in den Betrieben der Metall- und Elektro-Industrie (M+E). Landauf, landab beteiligten sich Mitarbeiter und Chefs kürzlich etwa an einer Schweigeminute, der Arbeitgeber-Dachverband hatte dazu mit der IG Metall aufgerufen. Allerdings hat der Krieg Russlands gegen sein Nachbarland auch schwere Folgen für die Wirtschaft im Südwesten – direkt vor der Haustür.

Wochenlanger Stillstand der Produktion bei Audi

Beispiel Audi am Standort Neckarsulm mit mehr als 15.000 Beschäftigten: Die Produktion von sechs verschiedenen Modellen stand hier im März zwei, je nach Bereich sogar drei Wochen lang komplett still. Der Grund: Es fehlen wichtige Zulieferteile aus der Ukraine, vor allem Kabelbäume. Man müsse in den kommenden Wochen „auf Sicht fahren und die Lage kontinuierlich neu bewerten“, schildert Standort-Sprecherin Sina Feirer. „Wir arbeiten intensiv daran, alternative Versorgungsmöglichkeiten im Konzernverbund zu finden.“

Das gleiche Problem beschäftigt auch die Krisenstäbe anderer Betriebe: 7 Prozent der Mitgliedsunternehmen von Südwestmetall beziehen industrielle Vorprodukte aus der Ukraine. Das ergab eine Umfrage des Arbeitgeberverbands unter 400 Unternehmen. Der Krieg stellt die Branche auch vor weitere gravierende Probleme. 65 Prozent etwa rechnen mit Umsatzrückgängen, 72 Prozent mit teureren Rohstoffen.

Schon vor dem Krieg waren die Energiekosten eine Herausforderung

Die größte Belastung aber sind die explodierenden Energiekosten: Sie bereiten 85 Prozent der befragten Unternehmen Sorgen. Laut Statistischem Bundesamt lagen die Preise bereits Ende 2021 im Schnitt um 69 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Das bringt Betriebe in ganz Deutschland in die Bredouille.

Laut dem Bundesverband der Deutschen Industrie war die Energiepreis-Entwicklung bereits vor Kriegsbeginn für fast ein Viertel aller Unternehmen eine „existenzielle Herausforderung“, zumal nur ein Drittel die Preissteigerungen an die Kunden weitergeben können. Der Krieg verschärft das Problem massiv. Die von der Bundesregierung beschlossene Steuersenkung auf Kraftstoffe ist für Unternehmen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein – sie bräuchten dringend weitere Entlastungen, zum Beispiel auch bei anderen Energiesteuern und den Netzentgelten.

Pobleme bei der Materialversorung belasten Maschinenbauer

Auch am baden-württembergischen Maschinenbau gehen die Ereignisse nicht spurlos vorüber. Heidelberger Druckmaschinen etwa bemerkt sie vor allem in Form von Anspannungen bei der Materialversorgung. Pressesprecher Thomas Fichtl: „Die Entwicklungen in der Ukraine beobachten wir mit großer Sorge, vor allem aus humanitärer Sicht. An alle Sanktionen und gesetzlichen Vorgaben werden wir uns selbstverständlich halten. Aber man muss sich auch die Frage stellen, was das für die Rohstoff- und Energiepreise und mögliche Engpässe in Zukunft bedeutet.“

Weitere Preissteigerungen sind absehbar

Heideldruck habe weitestgehend Vorsorge getroffen, damit die Belastungen überschaubar bleiben. So wurden manche Teile von alternativen Lieferanten bezogen, die erst qualifiziert werden mussten. Die gelieferten Teile wurden in der Montage zu einem späteren Zeitpunkt eingebaut. Das Unternehmen kann also liefern, wenn auch mit leichten Verzögerungen aufgrund der industrieweit spürbaren Engpässe in der internationalen Logistik. Eine weitere Steigerung der Rohmaterialpreise, die an die Kunden weitergegeben werden müssten, sei allerdings schon absehbar, sagt Fichtl.

Denn Russland ist auch ein wichtiger Lieferant für Metalle. So ist unter anderem der Preis für Stahl in die Höhe geschnellt. Denn die Sanktionen gegen Russland haben das Stahlangebot weltweit verknappt.

5 Prozent der M+E-Unternehmen Baden-Württembergs haben auch Werke in Russland

Sanktionen gegen Russland stoßen in der Branche auf Zustimmung

Für einige Unternehmen sind Russland und die Ukraine wichtige Absatzmärkte. 11 Prozent der Betriebe gaben in der Südwestmetall-Umfrage an, mehr als 4 Prozent ihres Geschäfts mit Russland zu machen, mit Spitzen von bis zu 25 Prozent. Dennoch treffen die Sanktionen gegen Russland auf Zustimmung. Hinter den Exportbeschränkungen etwa stehen 97 Prozent der Betriebe. Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick: „Die große Mehrheit unserer Mitglieder sieht die Notwendigkeit von Sanktionen, um Putin Einhalt zu gebieten, auch wenn es die Firmen selbst trifft.“ Knapp 5 Prozent der hiesigen M+E-Unternehmen haben sogar Fabriken in Russland (und knapp 2 Prozent in der Ukraine). Audi fertigt im russischen Kaluga die Modelle Q7 und Q8 – und hat die Produktion dort vorerst gestoppt.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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