Berlin. Auf diesen ersten Platz kann Deutschland gerne verzichten: Nirgendwo sonst in Europa ist Strom so teuer wie hierzulande. Im Schnitt fast 32 Cent kostet zum Beispiel eine Kilowattstunde (kWh) für einen Vier-Personen-Haushalt. Das stellt der Energieverband BDEW fest.

Industriebetriebe mit moderatem Verbrauch zahlen die international höchsten Preise. Unternehmen mit großem Verbrauch müssen mit den global dritthöchsten Stromkosten im Wettbewerb bestehen.

Abgaben und Steuern haben sich fast verdreifacht

Zu teurer Strom: Was die Wirtschaft schon lange bemängelt, kritisiert nun auch der Bundesrechnungshof. „Die Energiewende droht Privathaushalte und Unternehmen finanziell zu überfordern“, moniert Rechnungshof-Präsident Kay Scheller. „Das setzt die Akzeptanz des Generationenprojekts aufs Spiel. Und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.“ Die Rechnungsprüfer schlagen deshalb vor, das System der staatlichen Umlagen und Entgelte „grundlegend zu reformieren“.

Die Abgaben, Umlagen und Steuern von Vater Staat auf den eigentlichen Erzeugerpreis machen unseren Strom ja erst richtig teuer. Denn sie haben sich laut BDEW-Berechnung seit 1998 inflationsbereinigt fast verdreifacht, auf heute 16,4 Cent je kWh. Das ist gut die Hälfte des Strompreises!

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Experten fordern Abschaffung der EEG-Umlage

Dickster und umstrittenster Posten bei den Abgaben: die Ökostrom-Umlage. Über diese im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorgeschriebene Umlage werden Wind-, Solar- und Biomasse-Anlagen gefördert. Der Energieverband BDEW, der Industrie-Dachverband BDI und viele Experten fordern die Abschaffung: „Die EEG-Umlage muss bis Mitte der 2020er Jahre auf null abgeschmolzen werden“, sagt Eberhard von Rottenburg, Referent der BDI-Abteilung Energie- und Klimapolitik. „Das muss die nächste Bundesregierung ganz schnell anpacken.“

Überlandleitung: Auch der Ausbau des Netzes für die Windenergie aus dem Norden macht den Strom teurer.

Einen ersten Schritt hat die Regierung immerhin schon im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets gemacht: Erstmals schießt der Bund Geld für die Umlage zu, etwa 11 Milliarden Euro. Und deckelt sie dadurch auf 6,5 Cent je kWh. Sonst wäre sie auf 9,7 Cent gestiegen, weil die Grünstromerzeugung weiter zugelegt hat – was an sich ja erfreulich ist.

Industriestandort muss trotz Energiewende attraktiv bleiben

In die Kritik gerät zunehmend auch das Netzentgelt: 7,8 Cent pro kWh bezahlen private Verbraucher und die meisten Betriebe für Nutzung und Ausbau des Stromnetzes, Tendenz steigend. „Auch das sollte die Regierung über einen staatlichen Kostenzuschuss dämpfen“, fordert von Rottenburg.

Dazu muss man wissen: Zwar werden rund 1.900 Betriebe bei der Ökostrom-Umlage entlastet – aber die allermeisten Firmen profitieren davon eben nicht. Viele haben ein echtes Problem mit den hohen Stromkosten: etwa in der Metall- oder Papiererzeugung und in der Chemiebranche. Der BDI-Experte mahnt: „Wir müssen aufpassen, dass unser Land trotz der Energiewende als Industriestandort attraktiv bleibt.“

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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