Gescher/Berlin. Die Preise für Gas und Strom sind in den letzten Monaten extrem gestiegen. Das trifft nicht nur private Haushalte – auch viele Unternehmen aus der Textilbranche sind davon betroffen. Und zwar massiv!

„Die Lage ist existenzbedrohend“, warnt Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands textil+mode, kurz t+m. „Es gibt immer mehr Unternehmen, die unter der Last der täglich steigenden Energie- und Rohstoffkosten zusammenbrechen.“

Viele Lohnveredler sind für ihre Art der Produktion auf große Gasmengen angewiesen

Russlands Krieg in der Ukraine macht die Beschaffung insbesondere von Gas nicht nur turbulent, sondern auch teuer. Ein Beispiel: „Unser Aufwand für Strom und Gas fiel im Januar und Februar um 250 Prozent höher aus als im Vorjahr.“ So sagt es Dirk Tunney, Chef des Textilveredlers ETV Eing. Das Unternehmen mit 125 Beschäftigten rüstet als Lohnveredler im münsterländischen Gescher Textilien aus – zum Beispiel auch für sicherheitsrelevante Bauteile im Automobilbau.

„Für Gas und Strom bezahlen wir 250 Prozent mehr als im Vorjahr”

Dirk Tunney, Geschäftsführer ETV Eing

Diese Textilien werden hierzu etwa auf riesigen Spannrahmen getrocknet. „Für unsere Art der Produktion brauchen wir eine große Menge an Prozesswärme und die erhalten wir zurzeit nur durch Gas“, erklärt Tunney. „Die Preisexplosion beim Gas ist deshalb für uns ein riesiges Problem.“

Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein da. Fast jeder vierte Betrieb sieht die gestiegenen Energiepreise als existenzielle Herausforderung, wie eine aktuelle Analyse des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zeigt. Er hat im Februar rund 420 mittelständische Unternehmen, darunter auch ETV Eing und viele andere Textilbetriebe, zum Problem der Energiekosten befragt. Mehr als ein Viertel der Firmen denkt demnach darüber nach, Unternehmensteile und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Denn zwei Drittel können laut BDI-Studie die gestiegenen Energiekosten nicht so einfach an ihre Kunden weitergeben.

ETV-Geschäftsführer Dirk Tunney: Das Unternehmen hat schon im März teilweise und abteilungsabhängig Kurzarbeit gefahren.

Was das konkret heißt, wird etwa im Betrieb in Gescher deutlich. Dort entscheidet mittlerweile nicht die eigentlich ganz gute Auftragslage über das Produktionsgeschehen, sondern der aktuelle Gaspreis!

„Wir können Teile unseres Gasbedarfs nur kurzfristig einkaufen. Bei der Menge orientieren wir uns als Lohnveredler daran, was unsere Kunden aktuell an Ausrüstungsaufträgen bei uns ordern“, erklärt Geschäftsführer Tunney. Würde der Gaspreis auf dem derzeitigen Niveau bleiben, könne der Betrieb dauerhaft nicht mehr wirtschaftlich produzieren. Denn: „Die Mehrkosten beim Gas können wir nur teilweise auf die Kunden umlegen, wir kommen an ein Marktpreislimit.“ Bittere Folge: Der Betrieb hat schon im März teilweise und abteilungsabhängig Kurzarbeit gefahren – und wird das erst mal auch weiterhin tun müssen.

Branchenverband fordert Entlastung seitens der Politik

Der Branchenverband t+m fordert schon länger eine finanzielle Entlastung seitens der Politik, konkret alle nationalen Zusatzbelastungen auf Strom und Gas bis mindestens Jahresende auszusetzen. Vor einem Gasembargo wiederum kann Hauptgeschäftsführer Mazura nur eindringlich warnen: „Allein in unserer Branche könnte ein solcher Schritt das Aus für Hunderte von Betrieben bedeuten.“

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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