Iserlohn/Unna. Es war ein historischer Tag, als Robert Rank in London war. Am 23. Juni 2016, dem Tag der Volksabstimmung über den Brexit, besuchte er einen Festakt, bei dem britische Ingenieure und Wissenschaftler geehrt wurden. Am Morgen danach gab es ein böses Erwachen – als das Ergebnis feststand. „Wir alle waren ziemlich verdattert“, erinnert sich der Geschäftsführer des Maschinenbauers Stromag an den Ausgang des Referendums: „Kaum jemand hätte gedacht, dass die Briten wirklich rauswollen aus der EU.“ Irrtum!

Mittlerweile ist Großbritannien als Mitglied der Europäischen Union Geschichte. Und Ende des Jahres läuft auch die Übergangsfrist für den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt ab. Wie es dann weitergeht, ist ungewiss. Die Verhandlungen ziehen sich hin, die Fronten scheinen verhärtet. Spätestens im Oktober müssen sich beide Seiten einigen. Sonst droht ein harter Brexit.

Neue Riesenparkplätze für die Zollabfertigung

Der britische Premierminister Boris Johnson pokert hoch – bei seinen Landsleuten und gegenüber der EU. Er will Stärke und Durchsetzungskraft zeigen. Selbst wenn Johnson in diesen Wochen doch noch in einigen Punkten einlenken sollte, bleibt das Ganze eine Hängepartie. Schließlich müssen noch die Parlamente in London und Brüssel das Verhandlungsergebnis der Unterhändler absegnen. Was da am Ende herauskommt, ist eine Frage, die viele umtreibt. Wie zum Beispiel Professor Rolf J. Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.

„Die Briten wollen die Vorteile des großen Binnenmarkts wie die Zollunion, aber keinerlei Einschränkungen“, so der Außenwirtschaftsexperte (siehe Interview). „Die Idee der völligen Souveränität verträgt sich aber nicht mit einem Handelsvertrag, der auf Zusammenarbeit beruht.“

50.000 zuätzliche Zöllner wären im Ernstfall nötig

Inzwischen baut das Königreich für den Ernstfall: insgesamt fünf riesige Parkgelände für Lkws zur Zollabfertigung. Für die sind 50.000 zusätzliche Zöllner nötig. Aber es gibt auf der Insel nicht einmal 10.000! Chaos ist also programmiert.

Das würde auch deutsche Unternehmen empfindlich treffen, die nach Großbritannien verkaufen. Wie etwa die Firma Stromag, deren Geschäftsführer Rank am 23. Juni 2016 in London weilte. Das Unternehmen mit Sitz in Unna, das zu einem amerikanischen Konzern gehört, produziert am nördlichen Rand des Ruhrgebiets Bremsen und Kupplungen für Baumaschinen, Landmaschinen, Krane, Windräder, Marineschiffe und Offshore-Anlagen wie Bohrinseln. Zudem fertigen die Westfalen Sicherheitsschalter für Theaterbühnen.

60 Prozent der Erzeugnisse gehen in den Export, davon entfällt ein Zehntel auf das Großbritannien-Geschäft. Die Schwesterfirma in Bedford, nördlich von London, fertigt Kupplungen für Öl- und Gasförderanlagen.

78,9 Milliarden Euro betrugen 2019 Deutschlands Exporte nach Großbritannien – ein Minus von 8 Prozent gegenüber 2016

Ein harter Brexit „wäre eine extrem schlechte Lösung“, meint Rank: „Was passiert mit den EU-Normen? Werden die künftig auch auf der Insel gelten? Wie ist das mit den Zöllen? Können unsere Mitarbeiter weiterhin problemlos auf die Insel reisen?“ Die Unsicherheit in der Branche sei groß, so der Manager. Nicht nur im Maschinenbau: Über alle Wirtschaftszweige hinweg hängen hierzulande 460.000 Arbeitsplätze am Export nach Großbritannien.

Hickhack um den Brexit belastet das Britische Pfund

Vor allem befürchtet Rank einen Wust an Bürokratie, unter anderem wegen der zu erwartenden Zölle. „Die ganzen Formalien werden unsere Mitarbeiter in Großbritannien abwickeln. Die sitzen näher dran. Von Unna ist das kaum zu handhaben.“

Dabei würden Zölle nicht nur auf fertige Bremsen und Kupplungen aus Unna fällig, die ins Königreich geliefert werden. Sondern auch auf Zulieferteile, die aus Deutschland oder anderswo zum britischen Stromag-Ableger gehen. Sich direkt auf der Insel mit entsprechenden Teilen einzudecken, sei keine Option, so Rank: „Dort gibt es für uns keine geeigneten Lieferanten.“

Und zu allem Überfluss schwächelt wegen des Hickhacks um den Brexit auch noch das Britische Pfund. Seit 2016 sank der Wert gegenüber dem Euro um rund 20 Prozent. Das macht deutsche Exportgüter auf die Insel automatisch teurer. Deshalb gingen Deutschlands Ausfuhren zwischen 2016 und 2019 von 85,9 Milliarden auf 78,9 Milliarden Euro zurück.

Lager auf der Insel für den Ernstfall aufgestockt

Den Kursverfall bekam auch Stromag zu spüren: Der Großbritannien-Umsatz ging bis Ende 2019 um 10 Prozent zurück. Durch die Corona-Krise sei das Geschäft noch einmal um 25 Prozent eingebrochen, sagt Rank.

Mit Sorge blickt auch Horst-Werner Maier-Hunke, Geschäftsführer des Iserlohner Büroartikelherstellers Durable, nach Großbritannien. Den 82-Jährigen, der sich Ende 2020 nach 40 Jahren aus dem aktiven Geschäft zurückziehen wird, belastet neben der Währungsproblematik vor allem die Unsicherheit, die mit dem Brexit verbunden ist: „Niemand weiß, wie es ausgeht. Man ist ja kein Prophet.“ Durable hat eine Vertriebsgesellschaft in Südengland, mit 30 Mitarbeitern. „Wir hatten bereits bis Weihnachten 2019, als der Brexit schon einmal drohte, das Lager auf der Insel aufgestockt.“

Seitdem bunkert die Firma dort Ware für mindestens ein Vierteljahr. Um vorbereitet zu sein, „falls die Zollschranken runtergehen“, meint Maier-Hunke. Das sei eine logistische Meisterleistung und obendrein teuer.

Auf jeden Fall bereite der Brexit viel bürokratische Arbeit. „Sollte er ganz hart kommen“, meint Maier-Hunke, „würden wir für 2.000 Artikel neue Zollnummern benötigen.“