München. Wer das deutsche Gesundheitswesen auf Herz und Nieren prüft, merkt schnell: Das System steht enorm unter Druck. Höhere Lebenserwartung, teurere Diagnosetechnik und immer mehr Operationen drehen seit Jahren an der Ausgabenschraube. Diverse Reformen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn etwa in der Pflege und natürlich die Bekämpfung der Corona-Pandemie kosten zusätzlich. Und die Ausgaben für Operationen und Pflege werden allein schon durch das Altern der Bevölkerung weiter ansteigen: Ein 80-jähriger Mensch nimmt mehr und andere Leistungen in Anspruch als jemand, der 40 oder 50 Jahre alt ist.

Unsere Versorgung im Krankheitsfall ist nach wie vor sehr gut – aber sie wird zu teuer. So wurden im vergangenen Jahr rund 425 Milliarden Euro für unsere Gesundheit ausgegeben. Das sind etwa 5.000 Euro pro Kopf, vom Säugling bis zum Greis. Die Ausgaben übersteigen schon längst die Einnahmen – ein Defizit von aktuell rund 20 Milliarden Euro im Jahr ist die Folge.

425 Milliarden Euro: So hoch waren 2020 die deutschen Gesundheitsausgaben

Vor allem bei den gesetzlichen Krankenkassen gibt es eine Finanzierungslücke, die nur zum Teil mit höheren Zusatzbeiträgen der Versicherten oder aus Steuermitteln ausgeglichen wird. Den Kassenbeitrag weiter anzuheben und damit auch die Betriebe zu belasten, das muss am ohnehin schon sehr teuren Standort D vermieden werden.

Wie also verhindern, dass die finanzielle Schieflage immer extremer wird? „Langfristig sinnvoll ist nur eine Reform des Gesundheitssystems“, sagt Professor Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München, im Gespräch mit aktiv.

Noch mehr staatliche Hilfen hält er für wenig zielführend: „Zusätzliche Steuerzuschüsse würden nötige Reformen etwa bei der gesetzlichen Krankenversicherung wohl eher hinauszögern.“ Der Experte fordert: „Wir müssen verstärkt auf Prävention setzen – und die Effizienz des Systems verbessern!“

  • Prävention. Im deutschen Gesundheitssystem liegt der Fokus auf der Behandlung von Krankheiten, der Kuration. Viel stärker noch als bisher sollte man allerdings auf die Vermeidung ebensolcher Krankheiten setzen, also die Prävention. „Gesundheitsvorsorge und Gesundheitserziehung sollten bereits im Kindergarten und in der Schule beginnen.“

Die Zahngesundheit sei ein gutes Beispiel: Die Vorsorge fängt im Baby- und Kindesalter an, von den Fluortabletten und dem Zähneputzen in der Kita geht es nahtlos über zum Bonusprogramm für die Vorsorgeuntersuchungen. „Die Automatismen, die man als Kind erlernt hat, setzt man meist sein ganzes Leben lang um“, weiß Neubauer. Solche Prävention ließe sich in vielen Bereichen des Alltags lernen: Denkbar seien zum Beispiel Programme in Sachen Ernährung, Bewegung, Rauchen oder Alkohol.

  • Effizienz. „Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern doppelt so viele Krankenhaustage: Ein stationärer Aufenthalt dauert im Schnitt sieben Tage. Gesünder als die anderen sind wir deshalb aber nicht“, erklärt der Experte. „Die Kliniken könnten viel mehr als bisher ambulant erledigen.“ Denkbarer Ansatz: Kleinere Kliniken werden in ambulante Tageszentren umgewandelt, spezialisiert auf bestimmte medizinische Bereiche. Patienten werden dort vorwiegend ambulant behandelt, hätten aber auch die Möglichkeit, ein paar Nächte stationär zu bleiben, wenn es nötig ist.

Ein weiterer wichtiger Punkt, um zu effizienteren Strukturen zu kommen: die Digitalisierung des Gesundheitswesens – über deren Schneckentempo aktiv kürzlich berichtet hat. „Es muss da deutlich schneller vorangehen“, sagt Neubauer, „aber leider sehen wir, dass unbegründete Ängste zum Beispiel vor Hackerangriffen die nötige Umstellung bremsen.“

Chronisch kranke Patienten könnten zum Beispiel auch gut aus der Ferne betreut werden, wenn es etwa um die Kontrolle von Blutdruck und Herzrhythmus geht, und sich den Besuch in der Arztpraxis sparen. „In der Pflege und für die Betreuung alter Menschen bieten sich auch Roboter an.“ Sie ersetzen zwar nicht die menschliche Nähe etwa eines Pflegers, können aber zuverlässig überwachen und im Notfall Alarm schlagen.

Längere Erwerbstätigkeit wird auf Dauer nötig sein

Was man noch wissen sollte: Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanzieren mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen fast zwei Drittel aller Gesundheitsausgaben. Ein auch weiterhin hoher Beschäftigungsstand ist also eine ganz entscheidende Größe in der Einnahmen- und Ausgabenrechnung!

Daher betont Professor Neubauer: „Wenn immer mehr Menschen immer länger leben, dann sollten sie eben auch länger arbeiten und damit länger in unsere Sozialkassen einzahlen.“

Spannende Anregungen aus München also – nicht zuletzt auch für die nächste Bundesregierung.

Nadine Bettray
aktiv-Redakteurin

Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald. 

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