Die traurigen Folgen werden noch sehr lange zu spüren sein: Die verheerende Hochwasserkatastrophe im südlichen Nordrhein-Westfalen und im Ahrtal (Rheinland-Pfalz) hat rund 200 Menschenleben gekostet. Dazu unzählige Existenzen vernichtet, Tausende Häuser, Geschäfte und Betriebe beschädigt oder ruiniert. Die Zerstörungen sind so gewaltig, dass Bund und Länder insgesamt 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bereitstellen wollen.

Schwer getroffen wurden auch viele Industrie-Unternehmen und deren Mitarbeiter: Überflutete Maschinen, kaputte Elektronik, abgesoffene IT-Server, gerissene Telefonleitungen - bei zahlreichen Firmen lief wochenlang gar nichts! Viele fahren noch immer im Notfall-Modus.

Wie die Drahtzieherei Hagener Feinstahl. Das südwestfälische Unternehmen stellt wichtige Vorprodukte für die Schrauben- und Bau-Industrie sowie für Autozulieferer her. „Das Wasser stand auf dem Betriebsgelände rund anderthalb Meter hoch“, erinnert sich Prokurist Timo Fichtel an den Tag, als das Wasser kam. „Sämtliche Maschinen sind betroffen, viele kaputt.“ Da der Stromanschluss unterbrochen ist, muss sich die Firma mit Notstromgeneratoren behelfen, voraussichtlich noch bis in den November hinein. Fichtel: „Im Normalbetrieb werden wir dieses Jahr wohl kaum mehr produzieren können.“

Allein die versicherten Schäden werden auf 7 Milliarden Euro geschätzt

Stark in Mitleidenschaft gezogen wurde auch der Kupfer-Recycler Aurubis in Stolberg bei Aachen: Das gesamte Firmengelände war überflutet. Zum Glück sei niemand zu Schaden gekommen, heißt es. Es sei nicht abschätzbar, wann die Produktion wieder aufgenommen werde.

Beim Autozulieferer ZF im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr-Ahrweiler sind die Flutschäden so groß, „dass wir Monate benötigen, um die volle Kapazität des Werks wieder zu erreichen“, wie das Unternehmen mitteilt. Alle Montageanlagen müssten komplett wieder aufgebaut werden. ZF produziert in dem Werk an der Ahr elektronische Dämpfungssysteme für Autos, vor allem für Premiummarken.

Alles in allem summieren sich allein die versicherten Schäden in den Überschwemmungsgebieten bundesweit auf 7 Milliarden Euro. Das ergaben Schätzungen des Branchenverbands GDV. Wobei eben viele Menschen und auch Betriebe nicht gegen Elementarschäden wie eine Flut abgesichert waren.

600 Kilometer Bahngleise müssen erneuert werden

Was die Situation der Wirtschaft noch erschwert: Unterbrochen wurden rund 600 Kilometer Bahngleise. Dazu kommen unterspülte Fernstraßen wie ein Teilstück der wichtigen Nord-Süd-Autobahn A 61 westlich von Bonn. Zeitraubende Umwege sind die Folge. Es wird noch Monate dauern, bis diese Verkehrsschlagader wieder durchgängig befahrbar sein wird.

Eine kaputte Infrastruktur ist stets ein Riesenproblem für die Wirtschaft. Manches Unternehmen, das selbst vom Unwetter verschont blieb, kämpft deshalb trotzdem mit dem Chaos nach der großen Flut: Es gibt massive Lieferverzögerungen.

Der Stahlkonzern Thyssenkrupp mit einer Fabrik in Hagen-Hohenlimburg zum Beispiel musste nach dem Unwetter die weiße Flagge hissen. Das Werk war durch unterbrochene Bahnlinien wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten. Inzwischen kann man den Standort zumindest eingeschränkt wieder mit Brammen, dem in Hagen benötigten Vormaterial, per Bahn versorgen. Der Konzern teilt dazu mit: „Auch die Kunden können wir wieder auf dem Schienenweg beliefern, wenn auch noch nicht in gewohntem Umfang.“ 

Das auf Effizienz getrimmte System der vernetzten Wirtschaft ist verwundbar

Bei der Spedition Honselmann in Hagen, auf die viele andere Betriebe der Region angewiesen sind, wurden Lagerhalle und Gleisanlage durch das Hochwasser stark beschädigt. Die Spedition transportiert Waren, die in Hagen mit dem Güterzug über einen privaten Anschluss eintreffen, per Lkw weiter nach Siegen, Attendorn, Remscheid oder Solingen – vor allem zu Autozulieferern. Doch plötzlich ging nichts mehr. Für die metallverarbeitende Industrie, die schon länger unter Lieferengpässen leidet, spitzte sich die Lage weiter zu.

Speditionen gehören zu den Rädchen, die ineinandergreifen müssen, damit die Wirtschaft rundläuft. Das auf Effizienz getrimmte System sieht längere Lagerzeiten nicht vor – klemmt es da plötzlich irgendwo, stehen Fertigungsanlagen andernorts in der Republik schnell still. In unserer extrem vernetzten Wirtschaft liefern kleine und mittelständische Unternehmen einen Großteil von Einzelkomponenten für Endprodukte. Fällt einer dieser hoch spezialisierten Betriebe aus, hat das oft enorme Auswirkungen. Die durch Überschwemmungen jäh gerissenen Lieferketten werden die Industrie noch Monate beschäftigen.

Autozulieferer ZF hat aus einer Flut vor acht Jahren Konzequenzen gezogen

Und man wird umdenken müssen: Unternehmen in der Nähe von Gewässern müssen sich klimafest machen, so mahnen Experten. Weil die extremen Wetterlagen durch den Klimawandel zunehmen werden.

Der Konzern ZF hat an seinem Standort Passau (Bayern) aus einer Flutkatastrophe Konsequenzen gezogen. 2013 war dort die Donau über die Ufer getreten. Die Schäden bei ZF lagen in zweistelliger Millionen-Höhe. Zum Glück war alles versichert. In der Folge hat das Unternehmen die Fabrik in Passau einen Meter über den bisher gemessenen Höchststand der Donau hinaus abgesichert. 5 Millionen Euro haben die dafür nötigen neuen Hochwasserschutzwälle gekostet. Ähnliches könnte jetzt wohl auch bei ZF in Ahrweiler anstehen. Und bei vielen anderen Betrieben.

    Was künftig anders werden muss

    Ob Städte, Brücken oder Landschaftsplanung – Experten mahnen neue Konzepte an. Extreme Wetterlagen werden in Zukunft häufiger auftreten – da sind sich die Experten einig. Und sie mahnen zum Umdenken. 

    Etwa Dietwald Gruehn, Professor für Landschaftsökologie und -planung an der TU Dortmund. Er rät dringend, den Flüssen wieder mehr Platz zu geben: Flächen müssten entsiegelt werden, damit Wasser besser in den Boden einsickern könne. Zudem braucht es, so der Experte, „mehr natürliche Speicher wie Moore und Wald“.

    Lothar Schrott, Professor am Institut für Geographie der Uni Bonn, fordert, Brücken so wiederaufzubauen, „dass sie einen besseren Durchfluss ermöglichen und sich Trümmer und Material an den Pfeilern nicht zu einem künstlichen Damm verkeilen können“. Genau das hatte die Lage im Ahrtal noch verschlimmert.

    Städte sollen zum „Schwamm“ werden 

    Höhere Mauern und mobile Schutzsysteme könnten gegen neue Fluten helfen, meint Professorin Bärbel Koppe, Hochwasserexpertin an der Hochschule Wismar. Aber auch die Hauseigentümer seien in der Pflicht. So werbe zum Beispiel Hamburg schon dafür, an gefährdeten Gebäuden Öffnungen wie Türen und Fenster mit verschließbaren Elementen zu sichern.

    Klaus Piroth, der bei der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall den Fachausschuss Hochwasserrisikomanagement leitet, verweist auf die schon länger diskutierte „Schwammstadt“ – die Starkregen besser verkraften kann. Also mehr Parks, begrünte Dächer, zusätzliche Versickerungsflächen.

    Wie Unternehmen spontan helfen

    Die Hilfsbereitschaft in Deutschland ist groß: Hunderte Millionen Euro kamen schnell an Spenden zusammen. Auch viele Betriebe helfen. Eine Auswahl:

    • Audi (Ingolstadt/Bayern) hat mit dem Betriebsrat einen Aufruf für eine Spendenaktion gestartet. Die Belegschaftsspende wird Audi um eine sechsstellige Summe erhöhen.
    • BMW (München) spendet 1,5 Millionen Euro an Rettungsdienste.
    • Getriebebauer Flender (Bocholt/NRW) steuert mit seiner Belegschaft 200.000 Euro bei.
    • Pumpenproduzent KSB (Frankenthal/Rheinland-Pfalz) schickt Pumpen im Wert von gut 50.000 Euro.
    • Opel (Rüsselsheim/Hessen) stellt Flutopfern kostenlos Autos zur Verfügung, für bis zu drei Wochen.
    • Metallfirma Otto Fuchs (Meinerzhagen/NRW) unterstützt vom Unwetter betroffene Unternehmen bei den ersten Instandsetzungsarbeiten mit Technik und Personal.
    • Forst- und Gartengerätefirma Stihl (Waiblingen/Baden-Württemberg) spendet 500.000 Euro.
    • VW (Wolfsburg/Niedersachsen) hilft mit 1 Million Euro.