Karlsruhe. Draußen ist es nass und grau, drinnen hüpfen die Sechstklässler gerade über den hellen Sandstrand vor türkisblauem Meer. Diese Kulisse zaubert der Computer auf den grünen Hintergrund, den Greenscreen. Mit einer solchen Technik drehen sonst Profis ganze Science-Fiction-Serien. Für die 11- bis 12-jährigen Schüler der Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule in Karlsruhe ist der Umgang mit Kamera, Licht, Ton und Tablet ganz selbstverständlich. Sie nehmen gerade einen Rap auf.
Besuch an der ersten „Smart School“ Baden-Württembergs
Eigentlich ist jetzt Mittagspause an der Ganztagsschule. Doch die Schüler sind mit Eifer bei der Sache, auch ohne Lehrer. „Die Räume lassen wir bewusst offen“, erklärt Schulleiter Micha Pallesche. Dass die Schüler verantwortungsvoll mit den Hightech-Geräten umgehen, sei eine Folge dieser Offenheit und des Lernkonzepts an der Schule.
Die Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule im Karlsruher Stadtteil Waldstadt hat als erste Schule in Baden-Württemberg 2017 das Siegel „Smart School“ erhalten, das der Digitalverband Bitkom in Berlin bundesweit an Schulen vergibt, die digitale Konzepte im Unterricht besonders gut umsetzen. Außerdem wurde die Schule 2018 mit dem Prädikat „Digitale Schule“ der Arbeitgeber-Initiative MINT ausgezeichnet. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Hier im „Wunderland“, dem ehemaligen Schülerhort, gibt es mehrere „Makerspaces“ wie das Filmstudio. Das sind Werkstätten, wo Schüler mit digitaler Technik selbstständig kreativ sein können.
Die Schule hat schnelles WLAN und interaktive Medien
Das Schulgebäude selbst wirkt zwar nicht überall modern – doch was drinsteckt, ist wegweisend. Es gibt schnelles WLAN, genügend Tablets und interaktive Tafeln, wo Lehrer und Schüler gemeinsam arbeiten. Beim ersten „Hacker Tag“ im Dezember programmierten rund 300 Schüler mit 70 Profis um die Wette. „Manche meinen, an einer digitalen Schule laufen alle wie die Roboter rum“, sagt Pallesche und lacht. „Doch bei uns spielen auch analoge Erlebnisse eine wichtige Rolle.“
Pallesche kommt auf den Punkt: „Mit Technik allein kann man keinen Wandel herbeiführen“, sagt er. Digitale Transformation bedeute neue Unterrichtsformen, Lerngruppen statt Frontalunterricht, Kollaboration statt Vereinzelung, Lernbegleiter statt Lehrer.
Schüler teilen Erklärfilme auf dem Smartphone
„Wir haben verstanden, was junge Menschen erwartet, wenn sie die Schule verlassen“, sagt Pallesche. Mitarbeiter in Industriebetrieben brauchen heute nicht nur mehr IT-Wissen, sie leiten selbstständig Projekte, arbeiten in agilen (beweglichen) Teams und tauschen Wissen untereinander aus. „Das alles macht digitale Technik erst möglich“, erklärt der Schulleiter.
An der Gemeinschaftsschule hilft sie, Schüler auf unterschiedlichen Niveaus zu unterrichten: Gute Schüler bekommen im „Input-Raum“ zusätzliche Aufgaben oder drehen einen Erklärfilm, den sie ihren Mitschülern aufs Smartphone schicken. "
„Mit Technik allein kann man keinen Wandel herbeiführen“,
Micha Pallesche, Schulleiter
Alles ist so selbstverständlich, dass Pallesche schon von der „nach-digitalen Phase“ spricht. Die meisten baden-württembergischen Schulen wären jedoch froh, im digitalen Zeitalter erst mal anzukommen. Schon bei der technischen Ausstattung nämlich hinken deutsche Schulen hinterher – wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt.
Demnach besuchen nur 6,5 Prozent der Achtklässler eine Schule, in der Tablets für den Unterricht zur Verfügung stehen. Im Schnitt der EU-Länder sind es 15,9 Prozent. Ändern soll das der „Digitalpakt“, auf den sich Bund und Länder nach langem Ringen jetzt geeinigt haben.
Leuchttürme wie die Ernst-Reuter-Schule zeigen, wie es dennoch geht. Tablets und interaktive Tafeln finanziert der Schulträger. Und es gibt Sponsoren: Unternehmen sind interessiert an einer besseren digitalen Bildung ihrer künftigen Mitarbeiter. Auch das eigene Smartphone dürfen die Schüler mitbringen. Jedoch nur für den Unterricht. Pallesche: „Auf dem Pausenhof bleibt das Handy verboten.“
„Azubis sollten digitales Grundverständnis mitbringen“

Interview: Schulen müssen Informatik-Basiswissen vermitteln
Stuttgart. Im Berufsleben gehören Tablets und Internet dazu, in den Schulen dominieren jedoch nach wie vor Tafel und Kreide.Johannes Krumme, Leiter des Referats für Schul- und Berufsbildungspolitik beim Arbeitgeberverband Südwestmetall, erklärt im Gespräch mit AKTIV, warum sich Schulbildung ändern muss, und was die Betriebe von ihren Azubis erwarten.
Die Arbeitswelt wird digitaler. Können Schulen darauf vorbereiten?
Ja, sie müssen sogar darauf vorbereiten. Denn nicht nur die Wirtschaft, sondern unser gesamtes Leben wird immer stärker von der Digitalisierung geprägt. Diese Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft erfordert eine entsprechende Entwicklung an den Schulen.
In welchem Alter sollte digitale Bildung beginnen?
Nach meiner Auffassung sollte das bereits ab der Grundschule erfolgen. Für die meisten Grundschulkinder sind Smartphones Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Es kommt in der Grundschule darauf an, altersgerecht das kindliche Medienverhalten zu begleiten, ohne dabei das Schreiben, Rechnen und Lesen zu vernachlässigen.
Reicht es nicht, IT-Kenntnisse in der Berufsausbildung zu vermitteln?
Mit dem Ausbildungsjahr 2018/19 haben die Tarifpartner die „Digitalisierung“ in allen industriellen Metall- und Elektroberufen verbindlich verankert. Betriebe und Berufsschulen sind verpflichtet, entsprechend auszubilden.
Allerdings erwarten Betriebe und Berufsschulen, dass zukünftige Azubis beispielsweise wissen, was ein Algorithmus ist, also Grundlagen digitaler Kompetenz mitbringen, auf dem die Ausbildung aufsetzen kann.
Wie müssen sich Schulen konkret verändern?
Neben der Hardwareausstattung brauchen Schulen neue pädagogisch-didaktische Konzepte. Das gilt sowohl für die allgemeinbildenden als auch für die beruflichen Schulen. Es muss in Tablets, Boards, Netzwerke und eine stabile WLAN-Umgebung investiert werden.
Gemeinsame Projekte von Politik und Wirtschaft wie die „Lernfabrik 4.0“ müssen in die Fläche gehen. Dabei sollten Konzeptentwicklung und Ausstattung Hand in Hand gehen. Außerdem muss die Lehreraus- und -weiterbildung in allen Fächern an die digitale Transformation angepasst werden.
Was kann die Politik tun?
Die Politik sollte handeln und sich endlich über die Verteilung der vorhandenen Finanzmittel einigen. Seit nahezu drei Jahren wird der „Digitalpakt“ diskutiert und angekündigt. Wir brauchen unabhängig von einer Grundgesetzänderung Klarheit über die Finanzierungsmodalitäten zwischen Bund und Ländern, damit Schulen und Schulträger endlich durchstarten können.
Wie können Arbeitgeber die digitale Kompetenz ihrer Mitarbeiter stärken?
Eine kontinuierliche Weiterbildung, die systematisch an den Anforderungen der Arbeitsaufgabe und dem vorhandenen Kenntnisstand der Mitarbeiter ausgerichtet ist, sichert digitale Kompetenz im Unternehmen.
Hierzu bieten sich besonders gut Teil- und Zusatzqualifikationen mit digitalen Inhalten an, wie sie etwa über die Arbeitgeberinitiative „Eine TQ besser“ entwickelt werden. Häufig ist eine ergänzende Förderung über die Bundesagentur für Arbeit möglich. Das Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft berät hierzu gerne. Außerdem sollte sich jeder Mitarbeiter selbst um seine Weiterbildung auf diesem Gebiet bemühen.
Bildung in der mobilen Industriewelt

- Die Welt der Industrie verändert sich rasant – digitale Kompetenzen sind gefragt. Deshalb ergänzt der Arbeitgeberverband Südwestmetall den Schulunterricht ab der siebten Klasse an Gymnasien und Realschulen mit dem Truck „Discover Industry“. Die mobile Industriewelt wurde kürzlich mit dem Preis „100 Orte für Industrie 4.0 in Baden-Württemberg“ ausgezeichnet.
- Seit 2015 tourt der Truck durch das Land. An fünf Arbeitsstationen lernen Jugendliche, wie industrielle Produktion funktioniert, von der Entstehung einer CAD-Zeichnung über das Programmieren von Robotern bis zur vernetzten Produktion. Auch intelligente Lagerhaltung und Materialfluss werden anschaulich vermittelt. Zur Ergänzung gibt es Infotafeln, an denen die Schüler beispielsweise ein Quiz zu ihrem künftigen Beruf lösen können.
- Vor Kurzem haben die Macher dem Truck ein Update verpasst und mehrere Stationen um digitale Aufgaben ergänzt. Außerdem wird es ab dem Frühjahr einen neuen Truck mit dem Namen „Digital D“ geben, voll mit digitaler Technik.