Osterode. Wer freut sich nicht, wenn im Hochsommer mal eine Wolke für etwas Schatten sorgt? Für Industriebetriebe, Logistik- oder Rechenzentren, die Strom von einer Photovoltaikanlage auf dem Dach beziehen, ist das womöglich schnell ein Problem, sagt Detlev Seidel, Geschäftsführer Operations der Piller Gruppe. „Die elektrische Leistung der Anlage kann binnen Sekunden um viele 100 Kilowatt einbrechen.“ Und das kann Rechner abstürzen lassen, Maschinen oder Kühlanlagen abschalten. Ein Risiko der Energiewende.

Wenn die Sonne mal nicht scheint oder der Wind nur schwach weht, entstehen Schwankungen in der Stromerzeugung. „Das Netzmanagement wird immer schwieriger“, weiß Seidel. Die Technik, um solche Schwankungen zu meistern, beherrscht man in Osterode seit Langem. Und das hat Piller zu einem Gewinner der Energiewende gemacht.

Durch die Energiewende wächst die Nachfrage für Anlagen von Piller

Weil der Anteil erneuerbarer Energie bei der Stromerzeugung kontinuierlich steigt, wächst die Nachfrage nach Anlagen, die Spannungsschwankungen ausgleichen und die Frequenz in Wechselstromnetzen konstant bei 50 Hertz halten. Das Unternehmen ist weltweit führend in der Technik, die Banken, Rechenzentren oder Krankenhäusern eine sichere Stromversorgung garantieren. Die Anlagen verhindern, dass bei einer Operation der Strom ausfällt oder im Kaufhaus Fahrstühle stecken bleiben.

Doch wie funktioniert das? „In kinetischen Speichern dreht sich, angetrieben von einem Elektromotor, ein Rotor“, erklärt Seidel. „Fällt nun der Strom aus, dreht sich der Rotor aufgrund der Massenträgheit weiter und wandelt die kinetische Energie über Induktion in elektrische Energie um.“

Die Universität St. Gallen zählt Piller zu den „Future Champions“

Die Technik wurde bereits vor Jahrzehnten entwickelt, ist nun aber aktueller denn je. Die Universität St. Gallen hat Piller deshalb in ihr neuestes Ranking der „Future Champions“ aufgenommen. Das Ranking erstellt die Schweizer Universität, um Weltmarktführer von morgen zu entdecken. „An den entscheidenden Stellen der Energiewende steckt oft maßgeschneiderte Technologie aus dem deutschen Mittelstand“, sagt Christoph Müller von der Uni St. Gallen. Ohne sie würde wenig laufen in Elektroauto, Windkraftwerk oder Stromnetz.

Die Technik von Piller ist durchaus beeindruckend, wie ein Rundgang durch die Fertigung rasch zeigt. Alexander Blötz etwa lässt gerade eine sogenannte „Powerbridge“ am Kran durch die Halle gleiten. Auf bis zu 13 Tonnen Gesamtgewicht bringt es ein solcher kinetischer Energiespeicher. „Der ist bestimmt für ein großes Rechenzentrum“, berichtet der 44-jährige Elektroniker für Maschinen- und Antriebstechnik, während er das schwere Gerät zentimetergenau absinken lässt. Allein das Gehäuse des Speichers kommt schon auf stolze 800 Kilogramm Gewicht. Blötz arbeitet seit 27 Jahren bei Piller. „Ich habe hier gelernt und bin geblieben, weil mich die Technik fasziniert.“

Die Azubis von Piller gehören regelmäßig zu den Landesbesten

Piller ist der größte Hersteller von kinetischen Energiespeichern weltweit. Die Branche sei eine Mischung aus Anlagenbau, Projektgeschäft und Kleinserienfertigung, erklärt Seidel. Zwar habe Corona auch bei Piller Spuren in den Auftragsbüchern hinterlassen, derzeit jedoch treibe die Digitalisierung das Geschäft wieder an. Denn abstürzende Rechner oder zusammenbrechende Netze wegen starker Stromschwankungen oder einer halben Minute Stromausfalls kann sich keiner leisten. Seidel: „Wir sorgen für die nötige Balance.“

Wer mit dem Geschäftsführer durch die Hallen geht, bekommt ein Gefühl dafür, warum Piller sich zu den „Future Champions“ zählen darf. Und erfährt eine Menge von exotischen Einzelanfertigungen und kleinen Aggregaten. Sowie davon, dass Facharbeiter das Herz des Unternehmens sind – in Fertigung und Service. Wie etwa Erkan Bayram (40). Er wickelt gerade einen Rotor mit einem sechs Millimeter starken Kupferdraht an einer Maschine, die eine Eigenanfertigung ist. Dazu gehört viel Erfahrung.

Deshalb setzt Piller trotz Corona-Krise verstärkt auf eine solide Ausbildung. Schon seit Jahren zählen Absolventen der Firma regelmäßig zu den Landesbesten. Im Moment macht sich Seidel Sorgen, weil Corona vielen Schülern die Berufsorientierung erschwert. Praktika, Schülerbesuche oder Girls’ Day sind ausgefallen. „Bei uns in der Region sind die Inzidenzen dauerhaft niedrig, und Schnelltests geben Sicherheit“, berichtet Seidel. „Deshalb sollten Schülerinnen und Schüler möglichst bald wieder bei uns Werkstattluft schnuppern.“ Schließlich winken bei Piller Jobs mit Zukunft.

Die Piller Gruppe

Das Unternehmen. Die Piller Gruppe mit Sitz in Osterode am Harz stellt Systeme für die unterbrechungsfreie Stromversorgung her. Sie beschäftigt weltweit fast 1.000 Mitarbeiter. Ein weiteres Werk gibt es in Bilshausen. Gegründet wurde Piller 1909 vom Ingenieur Anton Piller in Hamburg.

Der Markt. Piller beliefert die globalen Märkte über eigene Vertriebs- und Serviceniederlassungen in Europa, den USA, Australien und Asien.

Die Mutter. Die Piller Gruppe gehört heute zum britischen Ingenieur- und Industriekonzern Langley Holdings.

    Ökostrom dominiert

    Die Hauptstromerzeuger in der öffentlichen Erzeugung im Jahr 2020

    • 248,8 Milliarden Kilowattstunden Strom wurden aus Erneuerbaren Energien gewonnen.
    • 82,1 Milliarden Kilowattstunden lieferten Braunkohlekraftwerke.
    • 60,9 Milliarden Kilowattstunden erzeugten letztes Jahr Kernkraftwerke.
    Werner Fricke
    Autor

    Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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