Berlin. Nach zweijähriger Corona-Pause hat sich die Textil- und Mode-Industrie am 17. und 18. Oktober wieder in Präsenz getroffen. 130 Gäste aus Wirtschaft und Politik kamen zum Branchentreffen ins Futurium nach Berlin. Hauptthema: die Gas- und Strompreise. „Die Unternehmen sind es leid, nach Unterstützung zu rufen – sie wollen wettbewerbsfähige Energiepreise“, erklärt Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands textil+mode (t+m). aktiv sprach mit ihm über die Lage in der Branche.

Was haben die Unternehmer den Politikern zu sagen gehabt?

Unsere Unternehmer haben die große Sorge, dass die Bundesregierung den Ernst der Lage nicht erkannt hat. Wir haben es nicht mit einer vorübergehenden Krise zu tun: Wenn wir es nicht schaffen, dass wieder ausreichend Energie zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung steht, geht das an den wirtschaftlichen Kern.

Was macht der Branche denn so massiv zu schaffen?

Dass alle Probleme und Krisen auf einmal kommen. Wir hatten schon vor dem Krieg gewarnt, dass die deutsche Industrie angesichts einer verfehlten Energiepolitik nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

Und jetzt ist es noch schlimmer?

Genau. Dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine und einen Wirtschaftskrieg gegen uns führt, hat uns in die schwerste Krise seit Gründung der Bundesrepublik gestürzt. Um es klar zu sagen: Wenn Energie nicht mehr bezahlbar ist, müssen Unternehmen schließen. Oder mit der Produktion dorthin gehen, wo Energie bezahlbar ist.

Verglichen mit der Krise wegen der Pandemie: Was ist jetzt anders?

Die Lockdowns waren schlimm, aber wir hatten das Gefühl: Gemeinsam schaffen wir das, es gibt einen Weg aus der Pandemie – und es kamen zum Glück ja recht schnell gut wirksame Impfstoffe. Aber gegen das jetzige Energieversorgungsproblem gibt es keine Impfung. Im Gegenteil: Der Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist ein Marathonlauf, auf den wir uns völlig falsch vorbereitet haben. Ohne Kohle, ohne Öl, ohne Gas als Brückentechnologie, ohne Atomenergie sitzen wir jetzt auf dem Trockenen.

Was heißt das für die Menschen?

Dass zahlreiche Arbeitsplätze akut bedroht sind. Das ist umso bitterer, weil sich viele unserer Unternehmen in den vergangenen Jahren einen exzellenten Ruf bei Spezialtextilien und bei technischen Textilien erworben haben. Bei technischen Textilien waren wir zuletzt Weltmarktführer. Die textile Forschung und die Unternehmen haben unglaublich viel in textile Innovationen und neue Anwendungen investiert. Das steht jetzt alles auf dem Spiel.

Welche Hilfen wünschen sich denn die Unternehmen?

Ach, wissen Sie, die Unternehmen sind es eigentlich leid, nach Unterstützung zu rufen. Sie wollen einfach nur wettbewerbsfähige Energiepreise, um noch in Deutschland produzieren zu können.

„Uns droht eine industrielle Kernschmelze, die uns die Zukunft kostet.“

Uwe Mazura, textil+mpde

Da könnte doch die geplante Gaspreisbremse helfen?

Was die Bundesregierung mit der Gaspreisbremse plant, kommt reichlich spät, und es gibt noch viele offene Fragen: Was machen wir mit den Strompreisen, wie halten wir auf Dauer die höchste Inflation seit 70 Jahren aus? Und was, wenn wir doch noch in eine Gasmangellage in diesem Winter kommen?

Haben Sie selbst Antworten auf diese offenen Fragen?

Alles muss jetzt ans Netz – und zwar ohne ideologische Scheuklappen und parteipolitisches Gezänk. Wenn wir noch Atomkraftwerke haben, die sicher laufen, müssen sie erst mal weiterlaufen. Alle Kohlekraftwerke müssen ans Netz, alle Gasquellen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien muss geklotzt und nicht gekleckert werden. Wir haben keine Zeit mehr! Uns droht eine industrielle Kernschmelze, die uns die Zukunft kostet.

Energiekrise: Stimmen aus den Betrieben

Dirk Tunney, ETV Eing Textilveredlung (Gescher)

„Bis August haben wir 1 Million Euro mehr für Energie ausgeben müssen als im Vorjahreszeitraum. Ich rechne abteilungsbezogen jetzt mit erheblicher Kurzarbeit.“

Kevin Bartelt, Gerhard van Clewe (Hamminkeln)

„Ab Januar vervielfachen sich bei uns die Strombezugskosten auf rund 2 Millionen Euro. Investitionen stellen wir zurück, der Fokus liegt auf Energiesparmaßnahmen.“

Johannes Dowe, Wülfing (Borken)

„7,5 Millionen Euro zahlen wir 2022 für Strom und Gas – 2021 waren es 2,5 Millionen. Unsere Wettbewerber aus Asien fertigen viel günstiger. Wir haben da kaum noch Chancen.“

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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