Aabenraa. Kurz nach zehn im Gymnasium Aabenraa, Dänemark, Geografie steht auf dem Stundenplan. Draußen toben die Ausläufer von Sturmtief Sabine, und auch im Klassenzimmer ist der Orkan das Thema – digital. Lehrer Andreas Damerau wirft Fragen in den Raum. Was sind meteorologische Gründe für den Sturm? Wie stark bläst der Wind aktuell? Welche Auswirkungen hat er auf die Tide der nahen Ostsee?

Die Schüler sitzen vor ihren Laptops, Tastaturen klappern. Auf den Bildschirmen: Wetteranimationen, Wikipedia, Nachrichtenportale. Wo sie recherchieren, welche Quellen sie auswerten sollen, muss Damerau seiner Klasse nicht erst sagen: „Das wissen die Schüler selbst, sie haben längst alle Kompetenzen, die sie dafür brauchen.“

Erfolg ist durchschlagend

Was kein Zufall ist. Denn: Während die Digitalisierung an den Schulen in Deutschland nur zäh in Gang kommt und der Unterricht vielerorts noch immer in der Kreidezeit verharrt, setzt man in Dänemark seit Jahrzehnten auf den Einsatz digitaler Medien im Klassenzimmer. Das Ziel: Die Schüler fit machen für die Anforderungen des digitalen Zeitalters. Der Erfolg: durchschlagend!

Unterricht wird schneller und lebendiger

Das bewies kürzlich die internationale Schulleistungsstudie ICILS. Sie misst unter anderem, wie kompetent Achtklässler mit digitalen Medien umgehen, Informationen recherchieren und bewerten. Ergbnis: In keinem der untersuchten 14 Staaten sind Schüler so digital-fit wie in Dänemark. „Das Land hat eine Eins plus mit Sternchen“, sagt Professorin Birgit Eickelmann von der Uni Paderborn, Leiterin der Studie.

Kein Ruhmesblatt war dagegen das Abschneiden deutscher Schüler. Sie hätten im Vergleich zur ersten ICILS-Erhebung im Jahr 2013 kaum dazugelernt, so Eickelmann. „Ein Drittel der Achtklässler hat lediglich Grundkenntnisse, sie können gerade mal eine E-Mail öffnen oder einen Suchbegriff eingeben.“ Nur 2 Prozent der deutschen Schüler erreichten die Leistungsspitze. Insgesamt war nicht mehr drin als ein Platz im grauen Mittelmaß. Die Gründe für die Pleite liefert die Studie gleich mit: Unzureichende technische Ausrüstung der Schulen, zu wenig Digitalkompetenz bei Lehrern.

Smartboards und Beamer in jedem Klassenraum

Bis vor ein paar Jahren war Damerau noch Lehrer an einem Gymnasium in Deutschland. „Da hätte ich mit der Klasse erst in den Computerraum gehen und dann hoffen müssen, dass dort das WLAN funktioniert.“

Probleme, die man in Aabenraa schon lange nicht mehr kennt. Smartboards und Beamer stehen hier in jedem Klassenraum, das drahtlose Internet funkt bis in die letzte Ecke. „Nicht nur bei uns, das ist in ganz Dänemark so“, sagt Jens Mittag, der Schulleiter. Mittag, Karohemd über der Jeans, sitzt in seinem Büro, gleich wird er Mathe geben. Vorher aber bleibt noch Zeit zu erzählen, wie das losging mit der digitalen Bildung an seiner Schule. Vor 20 Jahren!

Schon damals nämlich startete in Dänemark das erste Digital-Investitionsprogramm, „wir waren in Aabenraa eine Art Vorreiter, haben damals alle Schüler und Lehrer mit Laptops ausgestattet“, sagt Mittag.

Ohne großes Konzept einfach mal losgelegt

Fragt man ihn nach dem großen strategischen Plan, dem pädagogischen Konzept jener Anfangstage, lächelt Mittag. Dann sagt er etwas, was Medienpädagogen hierzulande Schnappatmung bescheren dürfte: „Hatten wir nicht. Wir haben einfach losgelegt.“

 Als Erstes hätten sich die Naturwissenschaftler im Kollegium auf die neue Technik gestürzt. Es folgten Fortbildungen für alle Kollegen, die Einsatzmöglichkeiten wurden stetig zahlreicher. „Nach relativ kurzer Zeit wollte kein Lehrer mehr auf die Rechner verzichten, und die Schüler schon gar nicht“, erinnert sich Mittag. 

Heute läuft in dänischen Schulen alles digital. Klassenarbeiten, Präsentationen, Organisation, Kommunikation, Zeugnisse. Ohne Laptop kann man keinen Schulabschluss mehr machen. Lehrer stellen ihren Schülern über eine Cloud-Plattform alle unterrichtsrelevanten Materialien zur Verfügung.

Das ganze Land hat sich einer konsequenten digitalen Schulstrategie verschrieben. Zwar existieren nationale Lehrplanstandards und Vorgaben. Innerhalb der staatlichen Vorschriften aber organisieren sich Schulen und Gemeinden selbst. Und neben der reinen Wissensvermittlung stehen auch andere Kompetenzen im Fokus: Teilhabe am Internet, kritische Bewertung von Online-Quellen, sicherer Umgang mit Software.

Dänemark investiert seit den 90ern

Seit Mitte der 1990er Jahre stellt die öffentliche Hand dafür kontinuierlich Mittel zur Verfügung. Von 2011 bis 2017 betrugen diese etwa 134 Millionen Euro. Fast Kleingeld, verglichen mit dem deutschen „Digitalpakt“: Mit 5,5 Milliarden Euro ist der bestückt, mit dem Geld sollen nun deutsche Schulen endlich digital aufgerüstet werden.

Hat Dänemark also das pädagogische Rad neu erfunden? Schulleiter Mittag hängt das Ganze lieber etwas tiefer. „Wir haben digitale Medien einfach integriert, ihre Chancen genutzt, ohne das Analoge komplett abzuschaffen.“ Natürlich gebe es auch in dänischen Schulen noch Tafeln, Bücher, Stifte. „Man hat das Beste aus beiden Welten verbunden, mit skandinavischem Pragmatismus."

Deutschland hat irren Rückstand bei der Ausstattung

Pragmatismus – vielleicht ist es genau das, was sich das deutsche Schulsystem mal abgucken könnte. „Die ganze Diskussion über die Digitalisierung der Schule ist bei uns völlig überhitzt“, sagt der Bildungswissenschaftler Professor Andreas Breiter von der Uni Bremen. Während die einen in der Digitalität den heiligen Gral sähen, sei sie für andere der Untergang des Abendlandes. „In Dänemark, aber auch in den Niederlanden oder Finnland sind digitale Medien für Lehrer ein selbstverständlicher Teil ihres Unterrichts. Und kein Big Deal!“

Schnelle Auswirkungen durch den „Digitalpakt“ erwartet Breiter ohnehin nicht wirklich. „Wir haben hier einen irren Rückstand bei der Infrastruktur, den wir erst mal aufholen müssen.“ Das werde auch gelingen. „Aber dann sind wir gerade mal auf dem Stand Dänemarks von vor 20 Jahren.“