Die Botschaft des europäischen Wählers ist nach der Europawahl von Ende Mai klar: Die Menschen wollen die Europäische Union gestalten, gerade die Deutschen, sonst wären sie nicht so zahlreich an die Wahlurnen geströmt. Und sonst hätten sie nicht den proeuropäischen Kräften erneut eine strategische Mehrheit beschert, aus der sich Bündnisse zimmern lassen.

Klar ist aber auch: Der Unmut über vieles in der EU ist gewachsen, das zeigen die Erfolge europakritischer Parteien. Was die Bürger ärgert, hat Österreichs Kanzler Kurz unmittelbar vor seiner Abwahl auf den Punkt gebracht: „Kein Mensch braucht EU-Vorgaben für die Zubereitung von Pommes. Deshalb fordern wir die Streichung von 1.000 EU-Verordnungen und Richtlinien sowie die Rückgabe von Kompetenzen an die Mitgliedstaaten im Sinne eines subsidiären Europas.“

Das muss die Aufgabe der neu gewählten 96 deutschen Europa-Abgeordneten und ihrer mehr als 600 Kollegen aus den 27 anderen EU-Staaten sein: Kommission und Rat der EU sollten einerseits bewahrt werden vor detailverliebten Entscheidungen zu Themen, deren Regelungsbedarf besser vor Ort beurteilt wird. Andererseits muss das Hohe Haus rechtzeitig mit praktikablen Regeln vorbeugen, wenn erneut realitätsferne Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs drohen – wie vor Kurzem zur kleinteiligen Erfassung der Arbeitszeit.

Europa braucht nicht mehr Urteile oder Gesetze, die gut gemeinten Wünschen wie dem nach mehr Gerechtigkeit mit kleinteiligen Eingriffen dienen. Europa braucht mehr Freiheit der Gestaltung und verantwortliche Bewahrung nationaler Identitäten, gemeinsame Antworten auf die großen Fragen des Welthandels, der Sicherheit der Außengrenzen oder des Klimaschutzes – und eine radikale Entrümpelung bei Verordnungen und Richtlinien. Wenn die proeuropäischen Kräfte im Parlament das nicht beherzigen, könnte sich eine alte Weisheit in fünf Jahren als aktuelle Drohung erweisen: Nach der Wahl ist vor der Wahl.