Bielefeld. Betriebe arbeiten kurz oder mit halber Belegschaft, Büros sind verwaist: Corona hat die Industrie weltweit infiziert. Das spürt auch das Bielefelder Familienunternehmen Boge, das Kompressoren für viele Wirtschaftszweige herstellt. Mit der „Luft zum Arbeiten“ werden Maschinen gesteuert, Plastikflaschen in Form gepresst, Druckfarben gesprüht, Pakete bewegt, Gewürze in Tüten gepustet, Bier abgefüllt und vieles mehr – und zwar rund um den Globus.

Familienunternehmen liefert jetzt vorrangig Druckluftanlagen für Beatmungsgeräte

Andererseits profitiert Boge von der Pandemie – unverhofft. Medizinische Kompressoren und Aufbereitungsanlagen sind jetzt sehr gefragt. Mit ihnen beliefert Boge Hersteller von Beatmungsgeräten wie Drägerwerk: Das Lübecker Unternehmen fertigt in den nächsten Monaten zusätzlich 10.000 Stück auf Bestellung der Bundesregierung.

Patienten, die künstlich beatmet werden, brauchen ganz spezielle Luft: trocken, öl- und keimfrei, kurzum absolut rein. „Medizinische Druckluft ist ein Arzneimittel, und wir haben seit Jahrzehnten die Expertise dafür!“, betont Wolf Meier-Scheuven, Chef des Kompressorenproduzenten.

Mit Corona schon vor Monaten Erfahrungen gesammelt – in China

Um die Produktion aufrechtzuerhalten, hat das Unternehmen – wie auch andere Maschinenbauer und Zulieferer in Nordrhein-Westfalen – mehrere Schichten eingerichtet: So sind nur wenige Mitarbeiter zur gleichen Zeit in den Hallen. Externe dürfen nicht ins Werk, die Kantine ist zu, die Verwaltungsangestellten machen Homeoffice.

„Die Medizintechnik war schon immer eine Schwerpunktbranche für uns und hat zurzeit höchste Priorität“, sagt der kaufmännische Leiter Oliver Peters. Auch die Lieferanten machen mit: Früher dauerte es mehrere Wochen, bis die speziellen Motoren für den Kompressor ankamen. Jetzt geht das ruck, zuck. „Die Betriebe arbeiten sieben Tage die Woche rund um die Uhr, und wir unterstützen dabei Hand in Hand.“ Mit der Corona-Eindämmung hat Boge schon vor Monaten Erfahrungen gesammelt: Der Mittelständler hat eine Fertigungsstätte in Schanghai, die Kompressoren für verschiedene Branchen in China, Indien und Südostasien produziert. „Wir haben uns immer wieder nach den Regierungsauflagen erkundigt“, so Firmenchef Meier-Scheuven. „Die Mitarbeiter tragen Mundschutz, waschen sich regelmäßig die Hände und halten Abstand. Einige konnten nach den chinesischen Neujahrsferien Ende Januar nicht mehr nach Schanghai zurückreisen, eine Kollegin sitzt immer noch in Kanada fest.“

Boge liefert seine Kompressoren und Komponenten in 120 Länder

Zum Glück wurde keiner krank. Die Fertigung wurde jedoch einige Wochen stillgelegt, der Warentransport stockte. „Aber die Lage normalisiert sich inzwischen.“ Die Aufträge aus China liegen derzeit sogar deutlich über dem Vorjahr, auch der amerikanische Markt läuft noch gut. In Italien ist dagegen der Umsatz weggebrochen, weil viele Kunden wegen Corona die Fertigung eingestellt haben.

Boge, rund 800 Mitarbeiter weltweit, macht 65 Prozent seiner 140 Millionen Euro Jahresumsatz mit dem Export und verkauft seine Kompressoren und weitere Komponenten wie Trockner und Filter in 120 Länder. Abschottungstendenzen und Handelskriege wie zuletzt zwischen China und den USA machen dem Mittelständler jedoch auch ohne Corona das Leben schwer.

USA verlangen für jedes importierte Bauteil Herkunftsnachweis

„Der Protektionismus ist insgesamt auf dem Vormarsch“, sagt Wolf Meier-Scheuven, der Urenkel des Firmengründers. Und das bedeute nicht nur Zölle auf deutsche Maschinen. Es gibt auch Beschränkungen der Einfuhrmenge, staatliche Subventionen für einheimische Produzenten, unnötig detaillierte technische Abnahmen und die Anforderungen, die Produkte jährlich vor Ort zertifizieren zu lassen. Das alles kostet Zeit und Geld.

In Saudi-Arabien zum Beispiel muss Boge jährlich bis zu 50.000 Euro für zusätzliche Überprüfungen allein einer bestimmten Sorte von Schraubenkompressoren zahlen. „Ähnliche Hürden bauen auch einige afrikanische Staaten auf“, so Meier-Scheuven. Eine weitere Abschottungsstrategie: „Die USA verlangen für jedes Bauteil, das wir ins Land liefern, einen Herkunftsnachweis. Wenn wir nicht wissen, aus welchem Land jede einzelne Unterlegscheibe stammt, können wir zum Beispiel keine Ersatzteile bieten“, ergänzt Peters.

Großbritannien hat als Abnehmerland an Bedeutung verloren

Auch der Brexit macht Boge zu schaffen. Großbritannien war lange Zeit der fünftwichtigste Markt für die Bielefelder, inzwischen ist er auf den siebten Platz abgerutscht. „Es wird seit dem letzten Jahr dort eher repariert als neu gekauft“, sagt der Firmenchef. „Die britische Wirtschaft schwächelt auch unabhängig von Corona.“ Auf der Insel gebe es keine Kompressorenhersteller mehr. Deshalb glaubt Meier-Scheuven, dass sich die Verkaufszahlen auf einem niedrigen Niveau einpendeln werden. Wie lange Großbritannien im Binnenmarkt bleiben wird, ist ungewiss. Die Verhandlungen zwischen dem Königreich und der EU kommen nicht recht voran.

„Als mittelständisches Unternehmen können wir nicht überall auf der Welt eine Fertigung aufmachen, um so die Importbeschränkungen zu umgehen“, so der Boge-Chef. Geplant ist höchstens eine weitere in den USA wegen der dort abweichenden technischen Standards.

Niedrige Lagerbestände und Just-in-time-Produktion sind krisenanfällig

Welche Konsequenzen Corona auf lange Sicht haben wird, ist derzeit ein Blick in die Kristallkugel. Auf jeden Fall zeigt sich: Niedrige Lagerbestände und Just-in-time-Produktion sind krisenanfällig. „Heute sind wir ganz froh, dass wir bestimmte Komponenten auf Lager haben“, meint der Firmenchef.

Zudem braucht man Alternativen, um auf andere Lieferanten ausweichen zu können. Boge bezieht Bauteile unter anderem aus China und Italien: Damit gibt es bereits Verzögerungen. „Wir haben schon vor Monaten zwei neue Betriebe in Europa gefunden und zertifiziert, um Reservemöglichkeiten zu haben“, so Meier-Scheuven. „Das bedeutet allerdings höhere Kosten für manche Bauteile.“

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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