Berlin/Bochum. Es ist ein regennasser Freitagabend Anfang Oktober, eine mittelgroße Stadt irgendwo im Rheinland. Hinter einem Supermarkt stehen sechs Jugendliche im Kreis, auf dem Pflaster dudelt eine Bluetooth-Box unterm Regenschirm, daneben ein Kasten Bier, halb leer. Seit ein paar Monaten ist das Eckchen zwischen Waschbetonwand und Stromkasten Treffpunkt der Gruppe. „Wo sollen wir auch hin, hier ist sonst nix“, sagt Nico, 18 Jahre, Chemie-Azubi. Die Klubs der Umgebung – wegen Corona noch dicht. Das jährliche Technofestival am Baggersee, selbst das örtliche Schützenfest – alles abgesagt. Also träfen sie sich eben hier. „Immerhin besser, als alleine abzuhängen.“ Trotzdem dominiert bei ihm und seinen Kumpels vor allem: Langeweile. Seit einer gefühlten Ewigkeit.

Welche Bedürfnisse hat die „Generation Z“?

Die Auswirkungen von Corona auf die Jugend – bislang war das selten ein Thema. Über Risikogruppen wurde reichlich debattiert, über isolierte Alte, die Folgen der Pandemie für Wirtschaft oder Demokratie. Über die Jugend dagegen nicht.

Für Deutschlands bekanntesten Jugendforscher, Professor Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School, ist das ein womöglich folgenschwerer Fehler. Er sagt: „Gerade die junge Generation wird von der Pandemie besonders schwer getroffen!“ Der Experte befürchtet gar eine „Generation Corona“: „Teile der jungen Menschen unter 20 könnten wegen Corona den Anschluss verpassen!“, so Hurrelmann zu aktiv.

Feiern als Ausdrucksform der Jungen

Das muss man erst mal sacken lassen. Weil die Jugend gerade mal nicht nach Herzenslust Party machen kann, geht gleich die Welt unter? Und wie tickt sie eigentlich ganz generell, die „Generation Z“, zu der auch die unter 20-Jährigen zählen? Ist ihr das eigene Vergnügen wirklich wichtiger als alles andere, wie man nach den zuletzt aus dem Ruder gelaufenen Party-Nächten in Stuttgart oder Frankfurt ja glauben könnte?

Eine aktuelle Jugendstudie zeichnet da ein anderes Bild. Alle vier Jahre untersucht das Heidelberger Sinus-Institut die Lebenswelt 14- bis 17-jähriger Teenager in Deutschland. Und was die Forscher herausgefunden haben, klingt so gar nicht nach hedonistischer Spaßgesellschaft: Die Jugend von heute ist deutlich ernster als ihre Vorgänger. Teenager machen sich Sorgen ums Klima und fehlenden gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Finden Jugendliche wegen der Krise schwerer in den Job?

„Dominierender Zukunftswunsch vieler Jugendlicher ist es, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen“, heißt es in der Studie. Die Berufswünsche seien bodenständig und realistisch, viel Wert legen die Heranwachsenden auf ein gutes Arbeitsumfeld und einen abwechslungsreichen Berufsalltag. Ist das jetzt langweilig?

Hinterm Supermarkt hat Nico dazu eine klare Haltung. „Ich will später mal ein Haus, eine Familie, Urlaub am Strand muss auch drin sein“, sagt er. Ein Lehrjahr habe er in seiner Ausbildung zum Chemikanten noch vor sich, danach hofft er auf einen sicheren Job. Und Corona? „Natürlich nerven die ganzen Verbote, aber mir ist schon klar, dass das jetzt eben sein muss.“

Krawallmacher sind nur eine laute Minderheit

Den Jugendforscher Klaus Hurrelmann erstaunt ein solches Maß an Vernunft nicht besonders. „Diejenigen, die da schlagzeilenträchtig zuletzt über die Stränge schlugen, machen nur eine kleine Teilgruppe aus. Aber die ist eben laut“, so Hurrelmann.

Für alle Jugendlichen der „Generation Z“ jedoch gelte: Feiern ist tatsächlich extrem wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. „Das Feiern gehört zu den bedeutendsten Ausdrucksformen in dieser Lebensphase“, sagt Hurrelmann. Sich mit Freunden zu treffen, deutlich zu machen, dass man anders ist, einer nachrückenden Generation angehört, das sei „ein Lebenselixier für Jugendliche“.

Das jetzt wegen Corona zu versiegen droht. „So gesehen trifft die Krise die Jungen viel härter als die Alten“, sagt Hurrelmann. Die ältere Generation müsse sich zwar ein wenig zurückziehen, Vorsicht walten lassen. „Doch ansonsten geht das Leben für sie fast normal weiter. Für die Jungen aber ist plötzlich alles auf den Kopf gestellt.“

Gute psychische Gesundheit ist wichtg

Das sieht auch Professorin Silvia Schneider so, Kinder- und Jugendpsychologin an der Ruhr-Uni Bochum. „Viele Dinge, die vorher selbstverständlich waren, sind plötzlich nicht mehr möglich“, sagt sie. Wie man damit klarkomme, hänge stark vom Umfeld ab. „Gute psychische Gesundheit, stabile Beziehungen zu Elternhaus und Freundeskreis, gute Bewältigungsstrategien – dann geht das noch ganz gut.“ In keinem Fall aber dürften sich die Jugendlichen allein fühlen. „Man braucht Zuversicht, das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Sie müssen sich in der Lage fühlen, die Krise managen zu können“, so Schneider.

Kein Recht auf Party - aber psychische Probleme drohen

Und wenn das fehlt? Jugendforscher Klaus Hurrelmann befürchtet gravierende Folgen für Teile der Jugendlichen. „Es können Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung entstehen, die sich in Aggression, Depression oder auch Drogenkonsum als Ausweichhandlung äußern.“ Der Wissenschaftler beobachtet zudem eine starke Spreizung innerhalb der jungen Generation. „Vorne viele gut gebildete, offene, tolerante und ökologisch orientierte junge Menschen, darunter auffällig viele junge Frauen.“

Und hinten? „Dort finden wir bildungsmäßig hinterherhinkende junge Männer, oft aus sozial schwachen Familien.“ Auf diese Jugendlichen, so der Experte, müsse man ein Auge haben. „Wenn hier wie im Lockdown der Bildungsprozess längerfristig unterbrochen wird, ist die Einbindung in Ausbildung und Beruf schnell gefährdet.“ Und es drohten Narben, „die diese jungen Menschen ein Leben lang mit sich herumtragen“.

Die Älteren holen digital auf, und die Jungen stehen plötzlich unter Druck

Dass die Corona-Krise den Druck auf die junge Generation verstärkt haben könnte, glaubt auch der Augsburger Generationenforscher Rüdiger Maas. Auf dem Arbeitsmarkt zum Beispiel: „Ältere Arbeitnehmer sind plötzlich digitalaffiner geworden, der Vorsprung der Jüngeren ist geschrumpft.“ Plötzlich kassiere auch die Generation Z die ein oder andere Absage auf Bewerbungen.

Eine Situation, die sie noch nicht kenne. Tatsächlich sank zuletzt die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze, zum ersten Mal seit 2013. Allerdings: Noch stärker ging die Zahl der Bewerber zurück. „Der Fachkräftemangel bleibt also“, sagt Maas. Zur Beruhigung der Jugend aber tauge das nur bedingt. Die junge Generation sei schlicht verunsichert. „Und weniger selbstbewusst als noch vor ein paar Monaten.“