Lehre 1: Plötzlich ist Homeoffice ganz normal

Millionen Arbeitnehmer haben in der Corona-Zeit urplötzlich in die Zukunft schauen können. Dafür brauchten sie keine Kristallkugel. Sondern nur einen Computermonitor. Im Homeoffice.

Im Lockdown wurden beträchtliche Teile unserer Arbeitswelt katapultartig in die digitale Zukunft geschleudert. Plötzlich wurde vollkommen anders gearbeitet. Mobil, flexibel, fragmentiert, kollaborativ. Mit der erstaunlichen Erkenntnis: Ups, funktioniert ja! Huch, die Produktion läuft – wenn auch vielleicht ruckelnd – weiter!

In Rekordzeit hat das Virus damit einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Einen Change-Prozess in Lichtgeschwindigkeit. Und der dürfte nachhaltig sein. „Die Krise hat das Potenzial, die Arbeitsorganisation langfristig neu auszubalancieren“, sagt Professor Norbert Schneider, Direktor des Berliner Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Gut 40 Prozent aller Tätigkeiten sind hierzulande prinzipiell Homeoffice-tauglich, hat sein Haus ausgerechnet.

Neue Einstellung in weiten Teilen der Gesellschaft

Die Bereitschaft der Firmen, auch nach Corona das mobile Arbeiten weiter anzubieten, war nie so hoch wie heute – auch in der Industrie. Laut aktueller Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim planen 37 Prozent der Firmen, darunter viele Industriebetriebe, auch nach der Pandemie Homeoffice weiter zu ermöglichen.

Natürlich kann beileibe nicht jeder Job von daheim erledigt werden. Aber der Digitalisierungsschub wird vor Produktionsbändern und Werkhallen nicht haltmachen. Experten sind sich einig: Er wird Berufsbilder verändern, lebenslanges Lernen noch unverzichtbarer machen als ohnehin schon.

Aber wenn die Krise uns etwas bewiesen hat, dann das hier: Wir können’s doch! Wir sind in der Lage, uns rasch ins digitale Zeitalter zu beamen, ohne monatelange Prozesse. Millionen Arbeitnehmer und Tausende Firmen haben „erfühlt“, wie es sich in der digitalen Zukunft arbeitet. Das Ergebnis ist, unter anderem, eine neue Geisteshaltung, zu messen in ganz nüchternen Zahlen: Laut einer aktuellen großen Umfrage der Krankenkasse DAK stieg der Anteil der Deutschen, die die Digitalisierung als Nutzen empfinden, in der Pandemie von 35 auf 48 Prozent.

Lehre 2: Turbo-Boost für die die Digitalisierung in der Industrie

Digitale Transformation? Automatisierung? Ja klar, schon wichtig, später irgendwann. Das war vor Corona vielerorts der Sound im deutschen Mittelstand. Und das hat sich geändert. Aus später wird gerade: sofort!

Für Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom, ist die Corona-Krise hierzulande ein „Weckruf“ gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, die ja das Herz der deutschen Industrie bilden: „Sie haben jetzt begonnen, digitale Infrastruktur aufzubauen, Geschäftsprozesse umfassend zu digitalisieren und neue, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln.“

Transformation beschleunigt sich massiv

Optimistisch stimmt eine Umfrage des Vereins Deutscher Ingenieure unter 170 Industrieunternehmen. Zwar sei die Lage durch die Bank ernst, die Mehrzahl der Firmen beklage zum Teil herbe Umsatzverluste. Dennoch, so die Studie, habe „die deutsche Industrie die Corona-Pandemie als Chance genutzt, sich deutlich effizienter, digitaler und krisenfester aufzustellen“. 80 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, die Digitalisierung ihrer Prozesse weiter ausbauen zu wollen, 75 Prozent planen derzeit, die Interaktion mit Kunden und Lieferanten stärker zu digitalisieren.

„Corona hat die digitale Transformation massiv beschleunigt“, sagt auch Dirk Pfitzer von der Beraterfirma Porsche Consulting. Seit dem Lockdown im März erlebe man eine Art riesigen Feldversuch. Doch die Entwicklung dürfte sich noch beschleunigen. Weil auch die Fertigungsanlagen selbst immer schlauer werden, mit hochmodernen Sensoren ungeheure Datenmengen erfassen, Standzeiten verringern helfen. Viele Unternehmen haben Corona genutzt, um solche Systeme zu testen.

Was sich bewährt, wird bald nicht mehr wegzudenken sein. „Fast alle Unternehmen haben sich auf den Weg in Richtung Industrie 4.0 gemacht“, so Bitkom-Chef Berg. Seine Überzeugung: „Wer sich digital aufgestellt hat, wird sich schneller von den Folgen der Corona-Krise erholen.“

Lehre 3: Digitalisierung in der Schule

Wie unter einem Brennglas wurde durch Corona deutlich: Die Schulen hinken bei der Digitalisierung hinterher. Während in Ländern wie Dänemark quasi der Schalter umgelegt und via Web unterrichtet wurde, herrschte hierzulande Chaos. Wir haben gesehen: So kann’s nicht weitergehen.

„Vielleicht ist Corona die Initialzündung für die Digitalisierung in der Schule, weil man jetzt ihr Potenzial sieht“, hofft Professor Andreas Breiter, Bildungswissenschaftler an der Uni Bremen. Im Gespräch mit aktiv sagt er, was passieren muss: „Kommunen und Länder müssen jetzt mal in die Gänge kommen und digitale Infrastruktur zur Verfügung stellen“, sagt er. Und meint: Endgeräte für Schüler ohne eigenen Computer, vernünftiges WLAN an den Schulen, Online-Plattformen, gute digitale Lernmaterialien.

Früher war’s doch auch schön? Früher ist heute vorbei!

Und dann: loslegen! So wie es engagierte Pädagogen von Flensburg bis Füssen im Lockdown schon gemacht haben. „Einerseits gab es quälend lange Diskussionen, etwa über die richtige Videoplattform. Andererseits clevere Lehrkräfte, die einfach gemacht haben“, so Breiter. „Da wurde auch mal über Whatsapp Kontakt zu den Schülern gehalten.“

Natürlich kann’s dabei zukünftig nicht bleiben. Aber passieren muss was. Schnell! Denn: Laut jüngster Pisa-Studie liegt der Anteil der leistungsschwachen Schüler hierzulande bereits bei 20 Prozent. Steuert unser Bildungssystem nicht entschieden gegen, fallen diese Kinder weiter zurück.

„Eigentlich haben sich deutsche Schulen in der Krise sogar ganz gut geschlagen“, sagt Breiter. „Wenn man bedenkt, wie desaströs die Ausgangslage ist.“ Nur in den alten Trott zurückfallen – das dürfe man trotz aller Normalitätssehnsüchte nicht. „Früher war doch auch schön – auf dem Weg kommen wir nicht weiter“, sagt Breiter. Weil er mit der nächsten Schulschließung bereits zur Sackgasse würde.

Lehre 4: Telemedizin ist auf dem Vormarsch

Erschütternde Szenen wie aus den Krankenhäusern Italiens oder der USA – sie sind uns bislang hierzulande erspart geblieben. Das deutsche Gesundheitssystem hat sich bis dato bewährt. Was kein Grund ist, sich auf Erreichtem auszuruhen. Im Gegenteil.

„Das Gesundheitssystem und die Gesundheitspolitik haben dringend umfassende Lehren aus der Pandemie zu ziehen, um für ähnliche Krisen und auch für den demografischen Wandel besser vorbereitet zu sein“, sagt der Gesundheitsexperte Professor Claus Wendt von der Uni Siegen.

Immer mehr Ärzte verlegen das Sprechzimmer ins Netz

Seine Forderungen: eine deutliche Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dazu eine Reformierung der Krankenhausfinanzierung. Und mehr Augenmerk auf die Digitalität. „Deutschland ist in den Bereichen Telemedizin und E-Health sehr viel schlechter aufgestellt als viele andere Länder“, kritisiert Wendt. Auch hier taugt Dänemark als Vorbild. Dort wird man in Kürze die elektronische Patientenakte einführen. Sie soll helfen, Gesundheitsleistungen vieler verschiedener Anbieter deutlich besser zu vernetzen.

Auch hierzulande betonen Marktexperten das Potenzial der Digitalisierung in der Medizin. So könnten flächendeckend eingeführte Videosprechstunden nicht nur Patienten, Gesundheitsberufe und auch Ärzte entlasten. Sondern auch die Gesundheitsvorsorge in ländlichen Regionen sichern helfen.

Und die Sache nimmt Fahrt auf. Laut der Arzt-Patienten-Plattform Jameda hat sich die Zahl der Ärzte und Psychotherapeuten, die Videosprechstunden anbieten, seit Corona vervierfacht. „Ärzte sehen, dass es ganz normal ist, mit einem Patienten über das Internet zu sprechen, dass es sicher ist und in den Workflow passt“, sagt Jameda-Boss Florian Weiß.

 

… und sonst so?

Mal ehrlich: Wer hätte gedacht, dass hierzulande ein Tracing-Tool wie die Corona-Warn-App millionenfach installiert wird? Binnen kürzester Zeit? Ist passiert.

Wer hätte gedacht, dass plötzlich 30 Prozent der Leute in einer Bitkom-Umfrage angeben, Lebensmittel auch online zu bestellen? Ist passiert.

Und: Wer hätte gedacht, dass ungezählte Mitarbeiter plötzlich den Arbeitsplatz und die lieben Kollegen vermissen? Ist passiert.

Und wir von aktiv, wir finden das gut …