Berlin. Die ganze Welt rieb sich verdutzt die Augen. Als am 23. März das Containerschiff „Ever Given“ bei starkem Wind auf Grund lief, ging nichts mehr auf dem Suezkanal. Hunderte Schiffe saßen sechs Tage lang fest. Der weltweite Handel war empfindlich gestört.

Weniger medienwirksam, aber mit deutlich größeren Auswirkungen für den globalen Güterverkehr ist der Container-Stau in China. Im Hafen von Yantian herrschte kürzlich nach einem Corona-Ausbruch unter den Hafenarbeitern über Wochen Stillstand.

Die Industrie ist auf fristgerechte Lieferungen angewiesen

Mittlerweile läuft dort zwar wieder der Normalbetrieb. „Doch bis sich die Lieferketten wieder einpendeln, wird es noch einige Zeit dauern“, erklärt Gerhard Handke, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). „Seit Monaten bringt eine Mischung aus hohen Kapazitätsauslastungen und weltweiten Logistikproblemen die internationalen Lieferketten durcheinander.

Auch der Unfall im Suezkanal wirkt hier noch immer nach.“ Die Folge: Frachtpreise haben sich teilweise verzehnfacht, Lieferzeiten können oft nicht mehr sicher zugesagt werden. Die Auswirkungen spüren Verbraucher und Unternehmen. Fernsehgeräte, Spielekonsolen oder Computer etwa werden hauptsächlich in Fernost gefertigt. Wenn die Plätze im Übersee-Container teurer werden, merken die Verbraucher das an der Kasse.

Doch was Kunden in Elektronikmärkten nervt, kann die Industrieproduktion zum Erliegen bringen. Sind industrielle Vorprodukte – zum Beispiel Kunststoffe, Verpackungsmaterial, Stahl und Metalle – nicht zum geplanten Termin verfügbar, werden Prozesse in den Unternehmen durcheinandergewirbelt. So rechnet man bereits jetzt für das laufende Jahr mit einem Verlust für die deutsche Volkswirtschaft von rund 25 Milliarden Euro.

Lieferengpässe in vielen Branchen bleiben damit weiterhin das größte Risiko für die konjunkturelle Erholung nach Corona. Und die Containerkrise wird wohl noch bis ins nächste Jahr hinein andauern.

612 Millionen Tonnen Importe im Jahr nach Deutschland

Doch warum hat ein Ereignis Tausende Kilometer weit weg eigentlich solche weitreichenden Folgen hierzulande? Produktion ist „just in time“ geplant. Materialien werden bestellt, wenn sie benötigt werden – nicht mehr für längere Zeit gelagert. Betriebe sind darauf angewiesen, dass jeder jederzeit liefern kann. Ein zusätzliches Problem ist die Abhängigkeit von wenigen Lieferanten bei bestimmten Produkten.

Auf mehrere Bezugsquellen statt auf nur einen Lieferanten setzen

„Insgesamt hat sich das System der globalisierten Lieferketten aber bewährt“, sagt der BGA-Handelsexperte, „denn die Arbeitsteilung hat dazu geführt, dass Konsumgüter für uns günstiger sind, und gleichzeitig Arbeitsplätze in den Lieferstaaten geschaffen.“ Eine Antwort deutscher Unternehmen auf die Pandemie-bedingten Lieferschwierigkeiten kann mehr Diversifizierung sein. Das heißt: Dort, wo es Sinn ergibt, können an die Stelle eines einzelnen Lieferanten aus Fernost künftig mehrere Bezugsquellen aus unterschiedlichen Regionen treten – auch aus der EU und Deutschland.

Schließlich kann man davon ausgehen, dass die Havarie der „Ever Given“ und der Mega-Stau in China nicht die letzten Störungen im fragilen Lieferketten-System sind. Die Wirtschaft steht vor einer neuen, dauerhaften Herausforderung.

Schiffscontainer liefern Waren rund um die Welt

Unverzichtbar: Die Containerschifffahrt spielt eine zentrale Rolle für den internationalen Handel. So werden knapp 80 Prozent der EU-Exporte in Nicht-EU-Länder per Schiff transportiert.

Marktkonzentration: Die weltweit größte Containerschiffreederei ist die dänische Maersk-Gruppe. Jeder sechste Container wird von ihr verschifft.

Schiffsgröße: Eines der derzeit größten Containerschiffe, die „HMM Hamburg“, kann fast 24.000 Container transportieren.

Frachtkosten: Anfang des Jahres kostete ein Standard-20-Fuß-Container von China bis Nordeuropa rund 4.400 US-Dollar.

Nadine Bettray
aktiv-Redakteurin

Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald. 

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