Meitingen/Garching. Ein schlanker Schlauch statt dicker Strebe für die Autokarosserie. „Mit Carbon sieht die Lösung oft anders aus, als man es vom Metall her kennt.“ Das erlebt Christoph Ebel jeden Tag aufs Neue. Der Leiter des Lightweight and Application Centers von SGL Carbon in Meitingen tüftelt mit seinem Team daran, wie man Hochleistungsfasern aus Kohlenstoff schlau mit anderen Materialien kombiniert und immer effizienter verarbeitet. So wird der Werkstoff, den Entwickler wegen seines geringen Gewichts und der hohen Steifigkeit schätzen, rentabel in der Serienfertigung.

Im Leichtbau setzt man auf carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK, kurz Carbon), die Fasern werden hierzu in Kunstharz eingebettet. Immer mehr Bauteile sollen aus dem hochstabilen Mix entstehen. Er macht etwa Flugzeuge und Autos ein Stück leichter und sorgt dafür, dass Maschinen noch präziser funktionieren.

Im Versuchszentrum im schwäbisch-bayerischen Meitingen zeigt Ebel eine große Flechtmaschine. Der Blick ins Innere erinnert an eine Strickliesel. Nur, dass es sich hier nicht um ein buntes Kinderspielzeug handelt, sondern um eine hochtechnische Anlage zum Flechten von Carbon. Die Hälfte der Fäden bewegt sich darin im Uhrzeigersinn, die andere entgegengesetzt, so bildet sich in der Mitte ein fester Schlauch. Daraus wird später der Rahmen eines Autodachs. Die schwungvolle Biegung formt ein digital gesteuerter Roboterarm automatisch beim Flechten. „Mit der Technik vermeiden wir Verschnitt“, erläutert Ebel den Vorteil des Verfahrens.

Bei Temperaturen bis zu 1.600 Grad Celsius wird die Faser umgewandelt

SGL Carbon konstruiert und fertigt nicht nur Bauteile aus CFK. Das Unternehmen stellt auch die Faser selbst her. Gut 80 Meter lang ist die Versuchsanlage, die aus dem Grundstoff Polyacrylnitril mattschwarze Carbonfasern macht. Sie bildet im Kleinen ab, was weltweit in den Werken geschieht: Schritt für Schritt wird das Material bei Temperaturen bis zu 1.600 Grad Celsius in riesigen „Backöfen“ umgewandelt. Erst sind die Fasern weiß, dann goldbraun, schließlich schwarz. Der Prozess wird stetig optimiert. Das gilt auch für die Weiterverarbeitung. Unter anderem die Beigabe von Harz, mit dem die Faser umspritzt oder getränkt wird, muss stimmen. „Schon kleine Änderungen machen hier einen großen Unterschied“, so Ebel.

Nicht immer ist das vergleichsweise teure Carbon das Material der Wahl. „Wir setzen es dort ein, wo es besonders große Vorteile bringt“, sagt Andreas Wüllner, der Leiter des Geschäftsbereichs Composites, Fibers & Materials (CFM) von SGL Carbon. Im Zusammenspiel mit herkömmlichen Materialien sind das im Auto vor allem tragende Teile wie die Mittelstrebe (B-Säule). Sie fängt bei einem Seitenaufprall gewaltige Kräfte ab, sorgt so für mehr Sicherheit.

Maximale Stabilität bei möglichst wenig Gewicht ist das Ziel, nicht nur in der Karosserie, auch bei anderen Komponenten. SGL hat beispielsweise ein faserverstärktes Batteriegehäuse für E-Mobile entworfen. Es schützt die Batterie vor Hitze und Kälte und ist 40 Prozent leichter als ein Träger aus Stahl.

Neu sind kurze, supersteife Stangen als starke Streben

SGL ist einer der Pioniere im Leichtbau. Mit BMW hat es die CFK-Fahrgastzelle für den Elektroflitzer i3 entwickelt, liefert die Carbonmaterialien für den BMW 7er sowie Fasergelege für die E-Mobile der nächsten Generation.

Eine neue Materialklasse sind thermoplastische Profile, kurze, steife Stangen. Sie werden in Querverstrebungen wie den Windlauf integriert – das Bauteil oberhalb der Windschutzscheibe. „Wir machen alles leichter, was im Auto oben ist“, so Ebel. Dadurch wandert der Schwerpunkt nach unten, der Wagen liegt besser auf der Straße. „Mit jedem Projekt lernen wir dazu“, sagt er. Die Erfahrungen aus dem Autobau überträgt man auf andere Industrien wie Luftfahrt oder die Windkraft. Eine neue, besonders zugfeste Faser von SGL ist beispielsweise vor allem für die Luftfahrt bestimmt.

Der Wettbewerber Voith Composites aus Garching bei München forscht ebenfalls am Werkstoff Carbon und der automatisierten Fertigung von CFK-Bauteilen. Dabei nutzt er ein weiteres relativ neues Verfahren, mit dem man vergleichsweise schnell direkt von der Faser zum fertigen Bauteil kommt – ohne Umweg über Zwischenstufen. Das Direktablageverfahren wird in der Serienproduktion bei Audi eingesetzt. Die Durchlaufzeit für die Rückwand des A8, dem größten Bauteil der Fahrgastzelle, sei damit deutlich gesunken.

Quer, längs und schräg legt die Maschine die Bänder ab

Herzstück der Anlage ist der Roving Applicator. Er platziert die Fasern mal quer, mal längs, mal schräg nach einem festgelegten Muster, sodass am Ende nichts übersteht. An heiklen Stellen wie dem Knick der L-förmigen Rückwand werden die Faserbänder in mehreren Schichten abgelegt, das bringt zusätzliche Stabilität. Alles geschieht vollautomatisch. Von Anfang bis Ende ist die Linie fest in Roboterhand. Das macht den Werkstoff erschwinglicher.

Lars Herbeck, der Geschäftsführer von Voith Composites, stellt zumindest fest:„Der Bedarf an effizienter Leichtbauweise steigt.“ So helfen Carbonkomponenten schon im Anlagenbau. Sie dämpfen Schwingungen, lassen Walzen in Papiermaschinen präzise und schnell rotieren. Künftig warten hier noch mehr schwere Aufgaben auf das Leichtgewicht: Antriebswellen aus CFK etwa können Bärenkräfte übertragen. Sie sind extrem robust und dazu weniger anfällig für Verschleiß als ihr härtester Konkurrent: der Stahl.

Das Garn, aus dem stabile Teile sind

  • Kohlenstoff-Fasern sind zehnmal dünner als ein menschliches Haar. Zu ihrer Herstellung sind hohe Temperaturen bis 1.600 Grad Celsius nötig. Der Grundstoff ist meist Polyacrylnitril.
  • Die einzelnen Filamente werden zu Garnen (Rovings) gebündelt und zu Matten und Vliesen (ungeordnet), Gelegen (parallel), Geweben (rechtwinklig) oder Geflechten (schräg verschlungen) verarbeitet. Ein Bündel enthält in der Regel 24.000 oder 50.000 Fasern.
  • Für carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK) werden die Carbonfasern in Kunstharz eingebettet.
  • „Schwarzes Gold“ wird Carbon auch genannt: Es ist steif, zugfest, leitet gut und besitzt eine hohe Widerstandskraft gegenüber Verformung, Hitze, Chemikalien sowie Rost.
  • Der Freistaat Bayern investiert kräftig in den Leichtbau mit Carbon. Mit einem Förderprogramm über 20 Millionen Euro treibt er die Forschung zu Verbundwerkstoffen am Luft- und Raumfahrtstandort Augsburg voran. Die Ergebnisse sollen auf ganz Bayern ausstrahlen.
  • Koordinator ist das Cluster MAI Carbon. Das Netzwerk im Städtedreieck München, Augsburg, Ingolstadt bringt rund 120 Mitglieder aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen und stieß in den letzten Jahren mehr als 50 Projekte zu Faserverbundwerkstoffen an.
Friederike Storz
aktiv-Redakteurin

Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.

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