Berlin. Eins ist unbestritten: Gesetze und Verordnungen sind wichtig. Denn für Unternehmen wie Bürger sollen sie verlässliche Grundlage ihres Handelns sein. Doch oft mutieren sie zur teuren bürokratischen Bürde – besonders für die Wirtschaft.

„Es geht nicht um einzelne Regeln, sondern um ein stetig wachsendes Gesamtpaket an Belastungen“, sagt Vanessa Wannicke, Referentin in der Abteilung Mittelstand und Familienunternehmen beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Knapp 2,6 Milliarden Euro kostete es Unternehmen allein 2020, ihren Pflichten aus neuen Gesetzen und Verordnungen erstmalig nachzukommen. Diesen einmaligen Erfüllungsaufwand berechnen jedes Jahr die Experten des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), eines Gremiums, das seit 15 Jahren die Regierung beim Bürokratieabbau berät – mit mäßigem Erfolg. „Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert“, kritisieren die Bürokratieprüfer in einem Ende Juni veröffentlichten Positionspapier.

Jede neue Regelungsrunde frisst den Entlastungserfolg auf

Zu spüren bekommen das besonders kleinere und mittelständische Unternehmen. BDI-Expertin Wannicke: „Sie fühlen sich durch umfangreiche Berichts-, Dokumentations- und Statistikpflichten zunehmend überfordert.“ Daten müssen gleich mehrmals an- und eingegeben werden, weil etwa zwischen den 120 existierenden Registern mit Unternehmensbezug kein Austausch stattfindet. Und bevor neue Regeln im Betrieb umgesetzt werden können, müssen oft seitenweise Merkblätter studiert werden.

Zwar haben seit 2015 geltende Kostenbremsen für eine Entlastung bei den Kosten für laufende Regelungen gesorgt – und sie auf das Niveau von 2014 gedrückt. Doch jede neue Runde mit frischen Gesetzen und Vorschriften frisst den zuvor erkämpften Entlastungserfolg auf. Wannicke: „Unterm Strich erkennen die Unternehmen seit Jahren keine spürbare Entlastung.“

„One in one out“: Was hinter dieser Regel steckt

Kein Wunder, dass der Bürokratieabbau wieder Wahlkampfthema ist. Dabei hat Deutschland durchaus ein Instrument, um der ausufernden Bürokratie Herr zu werden: die „One in one out“-Regel. „Für jedes belastende Regelungsvorhaben muss das betreffende Ressort an anderer Stelle eine Belastung im gleichen Umfang abbauen“, so die Expertin.

Der Haken: Diese Kostenbremse wird derzeit nur auf den laufenden Erfüllungsaufwand angewendet. Nicht aber auf den einmaligen Erfüllungsaufwand – und die gesamten Kosten, die durch EU-Recht entstehen. Gerade Letztere machen 50 Prozent der gesamten Bürokratiekosten für die Wirtschaft aus.

Wannicke sieht dort ein großes Einsparpotenzial: „Ab dem kommenden Jahr plant die EU-Kommission ihre eigene ‚One in one out‘-Regel. Das ist ein überfälliger Schritt, aber auch hier bleibt der einmalige Erfüllungsaufwand leider unberücksichtigt.“

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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