Münster. Die Zahlen sind beeindruckend – allerdings auf negative Weise: Derzeit sind über 1.700 Bundesgesetze und mehr als 2.800 Verordnungen in Kraft. Vonseiten der EU kamen allein 2022 nochmals knapp 1.300 neue Durchführungsverordnungen oder Beschlüsse hinzu. Die Masse an Regelungen produziert eine immer weiter wachsende Flut an Berichts- und Dokumentationspflichten.

Auch kleine Zulieferer sind von den neuen Formularen betroffen

Auf den Schreibtischen vieler Textilunternehmen türmen sich Fragebögen und Formulare, mit denen Umweltprüfungen vorbereitet, Arbeitsrechtsregelungen geprüft oder Steuerangelegenheiten dokumentiert werden müssen. „Die bürokratische Last nimmt leider immer weiter zu. Das ist für unsere Unternehmen auf Dauer nicht tragbar“, kritisiert Oliver Teuteberg vom Verband der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie in Münster.

„Die bürokratische Last nimmt leider immer weiter zu – das ist für unsere Unternehmen auf Dauer nicht tragbar.”

Oliver Teuteberg, Textilverband Nordwest

Aktuelles Beispiel: das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Anfang Januar in Kraft getreten, verpflichtet es größere Unternehmen, sich auch entlang ihrer Lieferkette an Menschenrechtsstandards und Umweltschutzvorgaben zu halten. Das müssen sie umfangreich dokumentieren. Und diese Pflicht trifft indirekt auch kleinere und mittlere Textilbetriebe: „Viele Kunden reichen ihre eigene Berichtspflicht an ihre Zulieferer in der Lieferkette weiter“, beobachtet Teuteberg.

Im Schnitt würden derzeit drei bis fünf entsprechende Fragebögen pro Woche Textilunternehmen erreichen. Und solche Formulare haben es in sich, wie das Muster des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zeigt. Auf mehr als 20 Seiten fordert die Behörde detaillierte Aufklärung: über die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens, seine Risikoeinschätzung von Menschenrechtsverletzungen im Lieferland, über Präventivmaßnahmen, über das eingeführte Beschwerdeverfahren …

Das alles zu beantworten, kostet Zeit und Geld: „Geld, das die Unternehmen ja nur einmal ausgeben können – und lieber in produktive Zwecke investieren würden“, betont Teuteberg, der beim Textilverband Nordwest die Öffentlichkeitsarbeit leitet.

Neue EU-Verordnungen sind schon geplant

Und: „Es kommen bald noch weitere Berichts- und Dokumentationspflichten auf die Betriebe zu“, warnt er. Etwa durch die Taxonomie-Verordnung der EU: Unternehmen sollen damit Umsätze und Investitionen nach ökologischen und sozialen Kriterien einteilen. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll ebenfalls erweitert werden. Außerdem plant die EU ein eigenes Lieferkettengesetz, dann droht womöglich ein neuer Fragebogen für das gleiche Thema.

Der Verband möchte beim Kampf mit der Bürokratie nun ganz praktisch helfen. In Münster entwickelt man eine Umsetzungshilfe, mit der Textilunternehmen bestimmte Infos sammeln und dann gleich mehrere Berichtspflichten erfüllen können. „Sehr viele Punkte sind ja in vielen Berichten vom Inhalt her gleich“, so Teuteberg.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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