Berlin. Geht das schon wieder los … Diesen Stoßseufzer hört man gerade sehr häufig in der Musikbranche. Na klar, der Grund ist Corona. Viele Konzerte von Pop über Musical bis Klassik sind schon abgesagt oder ins Ungewisse verschoben. „Das trifft Berufsmusiker wieder hart, auch beim Einkommen“, konstatiert Gerald Mertens, „besonders die selbstständigen Musiker.“

Der 62-Jährige weiß, wovon er redet. Der Rechtsanwalt und Kirchenmusiker ist Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) mit Sitz in Berlin, gleichzeitig Berufsverband und Arbeitnehmervertretung.

Ein Drittel der Musiker denkt über einen neuen Job nach

Das Jahreseinkommen freischaffender Musiker ist in der Regel mager, liegt in Deutschland im Durchschnitt laut Künstlersozialkasse (KSK) bei 13.085 Euro. Vor Corona war es nicht viel mehr. „Fast alle Freiberufler haben noch Brotjobs, um über die Runden zu kommen, etwa als Musikschullehrer oder im Supermarkt an der Kasse“, so Mertens. Rund 54.000 selbstständige Musiker sind bei der KSK registriert.

Angestellte Musiker hingegen, davon gibt es 16.900 im Land, bekommen regelmäßig ihr Gehalt, aber in Zeiten wie diesen eben oft auch nur Kurzarbeitergeld. „Wir haben in der Musikbranche etwa 80 Prozent Selbstständige und 20 Prozent Festangestellte“, verdeutlicht Mertens das Problem.

Schon vor Corona war also für die meisten Musiker das Leben kein Zuckerschlecken. Wohlhabende Stars sind allenfalls die Spitze des Eisbergs. Seit Frühjahr 2020 müssen die Selbstständigen zudem noch halbierte Umsätze verkraften, so die „Eiszeit-Studie“, die 2021 vom Zentrum für Kulturforschung im Auftrag des Deutschen Musikrats durchgeführt wurde.

Laut einer Erhebung in Großbritannien überlegen 30 Prozent der Berufsmusiker dort, sich einen anderen Job zu suchen. Oder haben das schon getan. Hierzulande sieht es ähnlich aus. „Ohne Leidenschaft für den Beruf geht nichts“, weiß Mertens. Das beginne mit der hohen Ablehnungsquote für Bewerber an Musikhochschulen, setze sich in der Notwendigkeit zum ständigen Üben fort. „Musiker trainieren so hart wie Leistungssportler – ein Leben lang.“ Amateure oder Semiprofessionelle hätten auf dem Markt fast keine Chance.

Hinzu kommt: Deutschland hat 129 Orchester, weltweit gibt es etwa 560. Damit ist der deutsche Arbeitsmarkt vergleichsweise groß. „In Deutschland werden jährlich etwa 150 Jobs in Orchestern frei, auf jede freie Stelle bewerben sich bis zu 300 sehr gute Musiker“, erklärt Mertens.

Mit Festanstellung ist das Einkommen recht passabel: Ein Anfänger bei einem kleinen Orchester kann mit etwa 3.000 Euro brutto rechnen, der Durchschnitt für gestandene Profis liegt bei etwa 5.000 Euro, der Konzertmeister eines Spitzenorchesters verdient bis zu 11.000 Euro.

Große Solidarität in und mit der Musikbranche

Was die Zukunft bringen wird, weiß auch Mertens nicht. „Höhere Mindesthonorare für Selbstständige wären ein Weg, ihnen ein anständiges Leben zu ermöglichen“, sagt er. Die freilich jemand bezahlen muss. Wie es mit dem Nachwuchs weitergeht? „Keine Ahnung.“

Hoffnung macht ihm aber „die Solidarität in der Branche und durch Musikfreunde“. Allein die Spendenkampagne #MusikerNothilfe der Deutschen Orchester-Stiftung sammelte von März 2020 bis September 2021 über 5,5 Millionen Euro für bedürftige Musiker.