Stuttgart. Droht uns eine Generation Corona? Für viele ein Schreckgespenst: die Schulabgänger von 2020 als „verlorener Jahrgang“, weil die Betriebe krisenbedingt viel weniger ausbilden. Wie steht es also um die Lehrstellen im Corona-Jahr, was kann man da jetzt überhaupt schon sagen?

Zwei Drittel der Betriebe bilden so aus wie bisher

Wichtige Hinweise gibt etwa eine Umfrage des Arbeitgeberverbands Südwestmetall unter seinen Mitgliedsunternehmen aus der Metall- und Elektro-Industrie (M+E). Bestehende Ausbildungsverhältnisse sind demnach kaum von der Krise betroffen. Und immerhin 42 Prozent der Betriebe wollen alle 2020 fertig Ausgebildeten übernehmen, weitere 31 Prozent zumindest einen Teil der Lehrlinge. Und: Etwa zwei Drittel der Firmen planen weder für dieses noch für das kommende Jahr eine Einschränkung ihres Ausbildungsplatzangebots.

Etwa ein Drittel der M+E-Unternehmen wird der Umfrage zufolge allerdings 2020 wie auch 2021 etwas weniger Lehrstellen besetzen. Dazu sollte man aber wissen, dass die Zahl der Schulabgänger in Baden-Württemberg nach Prognose der Kultusministerkonferenz 2021 und 2022 jeweils um mehr als 4.000 Köpfe niedriger liegen wird als 2020. Und dass jetzt ja vielerlei unternommen wird, um einen verlorenen Jahrgang zu vermeiden.

Bis Anfang 2021 ist der Einstieg noch möglich

So plant das Landeswirtschaftsministerium einen Modellversuch: Betriebe, die im Herbst kurzarbeiten müssen, sollen auch noch Anfang 2021 ins neue Ausbildungsjahr einsteigen dürfen. Kammern und Berufsschulen würden sich flexibel darauf einstellen, heißt es.

Das neue Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ fördert die Ausbildung in kleineren Unternehmen mit Geldprämien – zum Beispiel 2.000 Euro pro Ausbildungsvertrag. Dass das Programm nur für Betriebe mit höchstens 249 Beschäftigten gilt, wird von Südwestmetall kritisiert: „Auch ausbildende Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitern sollten gefördert werden“, erklärt der Verbandsvorsitzende Stefan Wolf.

Trotz der Krise wird der Nachwuchsbedarf insgesamt hoch bleiben, dürfte sich aber etwas verschieben – von den klassischen Industrieberufen in Richtung Industrie 4.0. Und vor allem im ländlichen Raum stehen oft mehr Plätze als Bewerber zur Verfügung.

Ausbildung auch mal im Homeoffice

Schon deshalb ist wichtig, dass Jugendliche früh erleben, was man mit Technik so alles machen kann: „Wenn Praktikanten bei uns einen kleinen Roboter bauen, sind sie begeistert – und bewerben sich später“, berichtet Herbert Mattes, Ausbildungsleiter beim Maschinenbauer Chiron in Tuttlingen. Dort haben Personaler und Ausbilder organisatorisch enorm viel gestemmt, damit die Ausbildung in der Krise nicht ins Stocken gerät.

Die Azubis waren im Wechsel zu je einem Drittel im Homeoffice, in der Lehrwerkstatt und im Betrieb. Außerdem wurden Schulungen vorgezogen. Hilfreich im Lockdown war, dass die Auszubildenden gut ausgerüstet sind: Alle haben ein Tablet und Zugang zur firmeneigenen Online-Lernplattform, das digitale Berichtsheft ist Standard. Chiron hat 2020 genauso viele Azubis wie in „normalen“ Jahren. Und das soll auch 2021 so bleiben – künftig aber „mit mehr Gewicht auf Elektrotechnik und IT“, so Mattes.

Mehr Azubis trotz Krise: Firmen planen langfristig

Beim Maschinenhersteller Arburg in Loßburg heißt es sogar: „Trotz Krise planen wir für 2021 noch mehr Ausbildungsplätze.“ Die Infotage für die Nachwuchswerbung im Juli standen natürlich im Zeichen des Hygienekonzepts, statt in großen Klassen kamen angemeldete Besucher einzeln oder in Kleingruppen. „Die Stimmung war ausgezeichnet, und wir konnten sehr viele sehr gute Gespräche führen“, sagt Ausbildungsleiter Michael Vieth.

Bei Woerner in Wertheim tritt 2020 ein Azubi mehr an als sonst: Dazugekommen ist ein Mechatroniker. Denn Elektronik wird für den Hersteller von Schmiersystemen immer wichtiger. Die Ausbildungsquote soll gehalten werden. Zwar sind die Ausbildungsmessen dieses Jahr ausgefallen, aber: „Seinen Ruf als guter Ausbilder und Arbeitgeber erwirbt man sich langfristig“, betont Personalleiterin Nicole Fabig. Zum Beispiel als Partner bei „Technolino“, einem Projekt für Kindergartenkinder. Angepasst wurde auch die „Aktivwoche“ für die Neuen: Dieses Jahr gab es nur Outdoor-Aktivitäten, die Vorträge wurden in die Kantine verlegt – mit ausreichend Platz zum Abstandhalten.

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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